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Wo bist du und wenn nicht wieso

Wo bist du und wenn nicht wieso

Titel: Wo bist du und wenn nicht wieso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Mary
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bewusst ist. Sie glauben, den potenziellen Partner richtig einzuschätzen oder gar, seine »Persönlichkeit« durchschaut zu haben. Damit kann man allerdings ziemlich danebenliegen, wie die folgenden Beispiele zeigen.
    Ein Mann ist fremdgegangen. Seine Frau ist getroffen und kommt zu dem Schluss: »Du liebst mich nicht mehr« und trennt sich von ihm. Reagiert sie nun auf sich selbst oder auf ihren Mann? Liebt er sie wirklich nicht mehr? Sie wird das nicht erfahren, solange sie den Kontakt verweigert.
     
    Eine Frau möchte den Freund, der zu ihr zieht, nicht in den Mietvertrag aufnehmen. Er ist daraufhin sicher, dass sie nicht ernsthaft an einer Beziehung interessiert ist und steigt aus. War sie wirklich nicht ernsthaft an einer Beziehung interessiert? Er wird es nicht mehr erfahren, es sei denn, er steigt wieder in die Beziehung ein.
Irrtum scheinbar ausgeschlossen
    Fatal ist, dass man die eigenen Deutungen automatisch für unfehlbar hält. So ist es und nicht anders! Das ist doch vollkommen klar! Da besteht nicht der geringste Zweifel! Man ist so überzeugt von der eigenen Sicht der Dinge, dass man dem Partner gegenüber die Deutungshoheit beansprucht. Von den Verwicklungen, die dann entstehen, kann jeder Paarberater oder Paartherapeut ein Lied singen. Dann jagen sich gegenseitige Vorwürfe und Unterstellungen:
Wer fremdgeht, liebt den Partner nicht mehr, das ist doch wohl ganz klar!
Wenn du mich lieben würdest, wäre Fremdgehen für dich kein Trennungsgrund!
Wenn ich nicht in den Mietvertrag kann, dann willst du nicht ernsthaft mit mir zusammen sein!
Wenn dich das stört, willst du über mich bestimmen!
    Wer die Deutungshoheit beansprucht, erklärt den Partner entweder für dumm oder setzt ihn ins Unrecht, nach dem Motto: »Ich weiß besser, was wahr ist, du siehst die Sache falsch!« Aber kein Partner will sich ins Unrecht setzen lassen, und deshalb schlägt er mit seiner eigenen Deutung zurück.
Kampf der Deutungen
    An diesem Punkt beginnen viele Machtkämpfe, wie es dem Paar im nächsten Beispiel passiert. Der Mann und die Frau mögen sich sehr und stehen am Ende der Anbahnungsphase. Dann kracht es so gehörig, dass er »erst einmal« aussteigt. Was ist passiert? Der Mann wollte die Frau öfter zu einem vereinbarten Zeitpunkt zum Ausgehen abholen, aber sie war nie fertig. Regelmäßig musste er zwischen 30 und 50 Minuten warten, bis sie sich in Schale geworfen und geschminkt hatte. Beim achten Mal platzte ihm der Kragen. Es entwickelte sich folgender Disput:
     
    Er: »Ich hab die Nase voll davon, ständig warten zu müssen. Geht das nicht schneller?«
    Sie: »Da ist doch nichts dabei, das macht doch nichts.«
    Er: »Mir macht das schon etwas.«
    Sie: »Da hat sich noch kein Mann drüber aufgeregt.«
    Er: »Du gehst schlecht mit meiner Zeit um.«
    Sie: »Und du nimmst keine Rücksicht auf mich.«
    Er: »Wenn das so weitergeht, hole ich dich nicht mehr ab!«
    Sie: »Geh doch, ich halte dich nicht auf!«
    … so geht es hin und her, der Ton wird lauter und die jeweiligen Deutungen verfestigen sich im Lauf des Streits, bis …
    Er: »Das ist mir einfach zu blöd.«
    Mit dem letzten Satz wirft er die Tür zu und verschwindet. »Erst einmal« – oder vielleicht für immer.
Wer hat die Deutungshoheit?
    Der kleine Dialog der beiden zeigt das Beharren auf der jeweiligen Deutung, mit der die eigene Reaktion begründet wird. Sie ist davon überzeugt, einen »rücksichtslosen« Mann getroffen zu haben, und er ist sich sicher, es mit einer »egoistischen« Frau zu tun zu haben. Fatal ist, dass der Ablauf des Streits zum aktuellen Beleg für die jeweilige Deutung wird, denn im Streit verhält er sich mit jeder Äußerung rücksichtsloser, und sie wird mit jedem Satz egoistischer. Am Ende steht dann für den Mann fest: »Frauen, die nur an sich selbst denken, hatte ich genug.« Und die Frau weiß: »Männer, die mich nicht respektieren, muss ich nicht mehr haben.«
    Natürlich stimmen diese Deutungen nicht. Vielmehr hat sich jeder auf sich selbst bezogen und die Mitteilungen des anderen ignoriert. Jeder hat auf seiner Sicht beharrt und es verpasst, den anderen einzubeziehen. Jeder hat sich auf seine Gefühle und seine Deutungen berufen; und dadurch haben sich die Partner gegenseitig zu ungewollten Reaktionen veranlasst.
    Solche Kämpfe und Missverständnisse hören erst auf, wenn die Tatsache zweier Wirklichkeiten, zweier Wahrheiten und darüber hinaus: zweier verschiedener Empfindungsmöglichkeiten, sogar bezüglich

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