Wo bist du und wenn nicht wieso

anwesende Partner und auch sie selbst etwas begreifen, etwas in einem anderen Licht sehen, neue Zusammenhänge erkennen und zu anderen Deutungen kommen. Genau das führt dann zu Verhaltensänderungen.
    Dummheit kann überaus produktiv sein. Scheinbar intelligente Leute glauben immer, gleich zu wissen, sofort zu verstehen, alles zu begreifen. Aber in Bezug auf die Erlebniswelt des Partners ist das unmöglich, vor allem wenn sich Differenzen und Konflikte abzeichnen oder bereits in Gang sind. Man kann nicht wissen, was gegenwärtig im anderen vorgeht, man kann sich das lediglich einbilden und reagiert dann womöglich auf sich selbst anstatt auf den Partner. Mit einer gehörigen Portion Dummheit passiert ein solches Malheur nicht. Wer sich traut, dumm zu sein, stellt Fragen. Die Frage: »Das verstehe ich nicht, bitte erkläre mir das!« gehört dazu. Aber in diesem Sinne dumme Leute sind noch zu weit mehr Produktivem fähig. Sie können staunen und sich wundern – und das auch über scheinbar klare Sachverhalte.

Staunen und wundern
    Wenn eine suchende Singlefrau beim ersten Date mit weißen Socken in Sandalen konfrontiert wird, kann sie kurzen Prozess machen – oder sie kann sich wundern . Anstatt den potenziellen Partner sofort auszusortieren, kann sie in Beziehung bleiben und ihre Verwunderung ausdrücken. Dann erfährt sie Dinge, von denen sie nichts wissen konnte, beispielsweise, dass der Mann spät dran war und feststellen musste, dass seine Schuhe nicht geputzt waren. In der Vorfreude und um sie nicht warten zu lassen, zog er die Sandalen an. Und mit dieser Information sieht alles anders aus.
    Wenn ein suchender Singlemann eine in Versform abgefasste E-Mail erhält, kann er aussteigen – oder er kann staunen: » Das ist seltsam, so etwas ist mir noch nie passiert. Was mag dahinter stecken?« Wenn er dann sein Staunen der potenziellen Partnerin gegenüber ausdrückt, stehen die Chancen gut, dass er etwas erfährt, das sein Schnellurteil, die Frau sei »einfältig«, widerlegt. So singt sie auf Geburtstagfeiern Arien, obwohl sie keine Sängerin ist, oder begleitet Kinder im Sterbehospiz. Bei seinen dummen Erkundungen stellt der Mann nun überrascht fest, es mit einer ungewöhnlich lebendigen Frau zu tun zu haben. Diese Information ändert beinahe schlagartig alles.
Sich klugerweise dumm stellen
    Ich habe weiter vorne beschrieben, wie es Verliebten aufgrund der Gnade der Blindheit gelingt, eine Beziehung miteinander einzugehen. Manche Partner sagen nach einigen Jahren zwar: »Wie konnten wir nur so dumm sein, uns aufeinander einzulassen?« Viele andere allerdings sagen: »Gott sei Dank waren wir dumm genug, uns aufeinander einzulassen!« Zwar kann ein dauerhaft suchender Single nicht mehr blind sein, aber er kann auf intelligente Weise dumm sein. Diese Art von Dummheit ermöglicht es ihm, in Beziehung zu bleiben. Dummheit ermöglicht Neugier und lässt den Eindruck gar nicht erst aufkommen, sofort alles zu wissen und verstanden zu haben.
    Der andere ist selten so, wie er auf den ersten Eindruck zu sein scheint. Mir haben in den Jahrzehnten, in denen ich Beratung praktiziere, eine Reihe merkwürdiger Menschen gegenübergesessen. Doch diese wirkten nur auf den ersten Blick merkwürdig. Sobald ich die schon aus professionellen Gründen notwendige Dummheit und Neugier zeigte, tauchten unerwartete Informationen auf und veränderten meine Wahrnehmung dieser Menschen ebenso wie meine Reaktionen und Gefühle ihnen gegenüber.
    Natürlich kann sich herausstellen, dass die Bereitschaft zum Kontakt immer weiter abnimmt, je mehr man von jemandem erfährt. Und es kann auch passieren, dass schon vorhandene Sympathie allmählich ganz schwindet. Dann ergibt sich nicht genügend Passung. Dann ist das eben so. Aber wenn Sie sich sicher sein wollen, den potenziellen Partner richtig einzuschätzen (nämlich als unpassend), wenn Sie nicht auf Ihre eigenen vorschnellen Deutungen hereinfallen wollen, kommen Sie um eine gute Portion Dummheit nicht herum. Kann man über die Aussagen des potenziellen Partners staunen, sich über sein Verhalten wundern und neugierig bleiben, ist es zudem wahrscheinlicher, dass sich während dieser Bezogenheit Verständnis und positive Gefühle aufbauen.
Einen langen Atem haben
    Das Staunen, Wundern und Neugierigsein dient allein dem Zweck, Reaktionen auf sich selbst von Reaktionen auf den Partner zu unterscheiden. Und genau darauf kommt es an, wenn sich potenzielle Partner näher kommen und sich richtig