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Wo bist du und wenn nicht wieso

Wo bist du und wenn nicht wieso

Titel: Wo bist du und wenn nicht wieso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Mary
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Bezogenheit der Verkäuferin alles verändert.
    Wie ist das möglich? Ganz einfach: zwischen der Verkäuferin und dem Räuber ist eine Beziehung entstanden, die zwar nicht eng ist und auch erst kurz besteht. Dennoch verändert sie das Urteil über den anderen, die Deutung der Ereignisse, die Reaktion der Beteiligten und deren Gefühle. Die Kriminalistik kennt dieses Phänomen auch von Entführungsfällen her. Wenn es Entführungsopfern gelingt, eine Beziehung zu ihren Kidnappern aufzubauen, erhöhen sich ihre Überlebenschancen enorm, weil sie einen »Beziehungstrick« anwenden, der den Entführer verändert.
Einen Trick anwenden
    Wie funktioniert solch ein Beziehungstrick? Wenn sich zwei Menschen aufeinander beziehen, treffen sich zwei Deutungen, zwei Gefühlswelten und zwei Sichtweisen. Der Schnellrichter und der selbstbezogene Ego-Fallensteller haben nur sich selbst im Blick, in ihre Reaktionen fließen nur die aus ihrer Sicht schlüssigen Informationen ein. Wenn man sich aber auf sein Gegenüber bezieht, kommen weitere, unerwartete, oft irritierende oder verblüffende Informationen hinzu – und dann ändert sich alles, auch und vor allem die emotionalen Reaktionen. Die Information, dass eine gering verdienende Verkäuferin einen Teil ihres Lohnes verlieren wird, ändert für den Räuber alles. Wer sich auf einen anderen Menschen bezieht, kann nicht starr an seiner eigenen Sicht- und Fühlweise festhalten. Bei ihm wirkt der Beziehungstrick.
Das Schnellgericht auflösen
    Damit ist die Frage, wie sich selbst festgefahrene Gefühle und starre Einschätzungen ändern lassen, theoretisch beantwortet. Sehen wir uns den Beziehungstrick nun an Beispielen aus dem Bereich der Beziehungsanbahnung an, etwa wie durch den Bezug auf das Gegenüber das Urteil eines Schnellgerichts aufgehoben werden kann.
    Sie erinnern sich an Tanja ( siehe > ). Tanja hatte auf einem Segelausflug erfahren, dass sich ihr potenzieller Partner zu alt dafür hält, Kinder zu bekommen. Als er sagte, er könne sich in seinem Leben keine Kinder mehr vorstellen, gingen bei Tanja schlagartig »alle Schotten runter«, sie machte dicht und sah den Mann nie wieder. Tanja ist noch immer schockiert und verbittert. Wie könnte sie diese Gefühle in einer solchen Situation verändern? Meine Fragen an Tanja, die ich ihr in der Beratung stellte, weisen auf solche Möglichkeiten hin:
     
    »Hat er gesagt, dass er nie Kinder mit Ihnen möchte?« – »Nein.«
    »Haben Sie ihn gefragt, was denn wäre, wenn er eine Frau sehr lieben würde?« – »Nein.«
    »Haben Sie ihm gesagt, das klänge hart oder verbittert oder ängstlich, und ihn gefragt, was ihn zu seiner Aussage brächte?« – »Nein.«
    »Haben Sie vielleicht gelacht und eine humorvolle Bemerkung gemacht wie ‚Kinder sind furchtbar’, um mehr von seinen Vorbehalten zu erfahren?« – »Nein.«
    Haben Sie ihm gesagt, dass Sie enttäuscht sind, weil Sie sich Kinder mit ihm durchaus hätten vorstellen können?« – »Nein.«
     
    Das alles und anderes mehr hat sie nicht getan, sie hat keinen Beziehungstrick angewendet. Stattdessen hat sie die Beziehung abgebrochen und so ihre Verbitterung konserviert.
Bezogen bleiben
    Wenn sie weiterhin bei jeder Enttäuschung und Verletzung dicht macht, wird ihr keine Beziehung mehr gelingen. Denn dass sie einen Partner treffen würde, der auf Anhieb sämtliche Erwartungen erfüllt und der nie eine Hoffnung enttäuscht, davon ist nicht auszugehen, zumal sie ihr Urteil schnell und unwiderruflich fällt. Mit jeder der von mir oben gestellten und anderen Fragen wäre sie hingegen in Beziehung zu dem Mann geblieben. Ob sich diese Beziehung lange gehalten hätte, ob sie nach Tagen sowieso geendet hätte, ob sich die beiden tiefer ineinander verliebt hätten, ob der Mann seine Einstellung daraufhin verändert hätte – all das bleibt offen. Nur eines steht mit Sicherheit fest: Durch ihr Schnellgerichtsurteil »Weg mit ihm!« und das augenblickliche Zurückziehen aus der Beziehung war alles sofort vorbei.
    Tanja hätte also eine Menge tun können, um ihre Gefühle und Reaktionen zu verändern. Nur eines wäre ihr nicht möglich gewesen: ihre Erwartungen aufzugeben. Das ist auch nicht nötig. In Beziehung zu sein bedeutet nicht, sich zu verstellen. Sie will Kinder. Ob sich an dieser Sehnsucht etwas ändert, wird sich ebenfalls erst im Verlauf einer Beziehung herausstellen. Denkbar wäre, dass ihr die Liebe zu einem Mann, der keine Kinder möchte, wichtiger wäre als eine Familie

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