Wo bist du
kommen in den Genuss dieses unglaublichen Privilegs, so sehr zu lieben und geliebt zu werden?«
Sie presste den Kopf an seine Brust, als wollte sie sein Herz schlagen hören, vielleicht auch, weil sie so lange auf diese Worte gewartet hatte.
Sie schlang die Arme um seinen Hals: »Philip, du musst hingehen, ich kann nicht, ich darf nicht, du wirst es ihr erklären.«
»Wohin?«
»Das weißt du genau. Wie ähnlich Lisa ihr sieht, das war beeindruckend! Und ich kann mir denken, welchen Treffpunkt sie auf dieses Stück Papier geschrieben hat, das du die ganze Rückfahrt über in der Hand gehalten hast.«
»Ich gehe nicht hin.«
»O doch, du gehst, nicht für dich, sondern für Lisa.«
Später im Schlafzimmer redeten sie, eng aneinander geschmiegt, lange Zeit über sich, über Thomas und über Lisa.
Sie hatten kaum geschlafen. Schon im Morgengrauen standen sie auf. Mary bereitete eilig das Frühstück in der Küche. Philip zog sich an und ging in Lisas Zimmer. Er trat ans Bett und streichelte ihre Wange, um sie sanft aufzuwecken. Sie öffnete die Augen, und er lächelte.
»Wie spät ist es?«
»Beeil dich, meine Kleine, zieh dich an und komm zu uns in die Küche.«
Sie sah auf den Wecker und schloss die Augen gleich wieder.
»Mein Flugzeug geht erst um sechs Uhr abends. Dad, ich fahre nur für zwei Monate weg, Mum und du müsst euch wirklich beruhigen. Kann ich jetzt weiterschlafen? Ich bin spät nach Hause gekommen!«
»Du wirst wahrscheinlich eine andere Maschine nehmen. Steh auf, Liebes, beeil dich, wir haben nicht mehr viel Zeit. Ich erkläre dir alles unterwegs.«
Er küsste sie auf die Stirn, nahm den Seesack, der auf dem Schreibtisch lag, und ging hinaus. Lisa rieb sich die Augen, stand auf, zog eine Hose und eine Bluse an und band eilig ihre Schnürsenkel zu. Kurz darauf kam sie verschlafen nach unten. Philip stand vor der Haustür und sagte ihr, er würde draußen auf sie warten.
Mary kam aus der Küche und blieb wenige Meter vor ihr stehen.
»Ich habe Frühstück gemacht, doch ich glaube, ihr habt keine Zeit mehr.«
»Aber was ist los?«, fragte Lisa beunruhigt, »warum muss ich so früh los?«
»Dad erklärt dir alles im Auto.«
»Aber ... ich habe mich nicht mal von Thomas verabschiedet.«
»Er schläft, mach dir keine Sorgen, ich richte es ihm aus. Du schreibst mir doch, nicht wahr?«
»Was verheimlicht ihr mir?«
Mary trat zu ihr, schloss Lisa so fest in die Arme, dass sie fast keine Luft mehr bekam, und flüsterte ihr ins Ohr: »Ich kann mein Versprechen nicht ganz halten, aber ich habe mein Bestes getan.« »Aber wovon redest du?«
»Lisa, was auch immer du tust, in jeder Etappe deines Lebens, vergiss nie, wie sehr ich dich liebe.«
Mary ließ Lisa los, öffnete die Tür und schob sie sanft zu Philip hinaus, der unter dem Vordach wartete. Beunruhigt blieb Lisa stehen, sah Mary in die Augen und versuchte, den Schmerz zu verstehen, den sie darin erahnte. Ihr Vater legte den Arm um ihre Schultern und zog sie zum Wagen.
Es regnete an diesem Morgen. Philips ausgestreckter Arm wurde von einer Hand verlängert, die größer geworden war und sich an die seine klammerte. Das Bündel, das sie in der anderen Hand hielt, wog jetzt viel schwerer.
So sah Mary sie gehen, in diesem fahlen Licht, das die Zeit erneut erstarren ließ. Ihr schwarzes wirres Haar fiel ihr bis auf die Schultern, der Regen rann über ihre Mestizenhaut. Jetzt schien sie sich in ihren Kleidern wohl zu fühlen. Sie gingen langsam zum Wagen. Mary stand unter dem Vordach und wollte noch irgendetwas sagen, doch das hatte jetzt keinen Sinn. Die Türen des Wagens schlossen sich, Mary winkte ihr ein letztes Mal zu, und das Auto verschwand um die Straßenecke.
Den ganzen Weg über stellte Lisa Philip Fragen, auf die er nicht antwortete, weil er noch nicht die richtigen Worte fand. Sie nahmen die Ausfahrt, die zu den verschiedenen Flughafenterminals führte, er bremste. Lisa spürte immer stärker die verwirrende Mischung aus Angst und Wut und war fest entschlossen, nicht eher auszusteigen, bis er ihr den Grund für den überstürzten Aufbruch genannt hatte.
»Aber was ist denn mit euch los? Bringt euch meine Abreise so durcheinander? Dad, erklär mir jetzt endlich, was los ist!«
»Ich setze dich vor dem Terminal ab und bringe den Wagen auf den Parkplatz.«
»Warum ist Mary nicht mitgekommen?«
Philip hielt am Bürgersteig. Er sah seiner Tochter tief in die Augen und nahm ihre beiden Hände in die seinen. »Lisa, hör mir zu,
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