Wo die coolen Kerle wohnen
»Das kann zu einem ungeahnt orgiastischen, ekstatischen Erleben führen, wenn Mann und Frau in tiefem Vertrauen, tiefer Entspannung und Offenheit zusammen sind.« Ob es bei ihr oder ihm auch zu einem Orgasmus kommt, ist dabei nachrangig. »In unseren Paargruppen gibt es regen Erfahrungsaustausch zu diesem Thema. Demnach ist für die Frauen der Orgasmus oft nicht so wichtig. Es ist für sie einfach schöner und erfüllender, wenn die Männer präsenter und sensibler werden, wenn die Vereinigung länger dauert und mehr Qualität hat. Männer brauchen oft länger, um sich von der Vorstellung zu lösen, dass zu jeder sexuellen Vereinigung unbedingt ein Orgasmus gehören muss.«
Männer, die lernen, ihren Körper von innen her wahrzunehmen, erleben oft überhaupt zum ersten Mal eine umfassende, ganzkörperliche Erregung, wie sie sie in ihren alten Mustern noch nie spüren konnten. Über tantrische Übungen können Paare eine neue Sprache der sexuellen Begegnung erlernen. »Durch ein häufiges, inniges Zusammensein bildet sich auch die natürliche Polarität zwischen Mann und Frau wieder aus«, sagt Hellwig Schinko. »Eine starke magnetische Spannung zwischen den männlichen und weiblichen Polen – womit sowohl die Ebene der Genitalien als auch jene der Herzen gemeint ist. Dann können Erektionen auch ganz ohne Programm und ohne jede genitale Stimulation entstehen. Und auf der Herzebene kann eine neue entspannte Offenheit heranwachsen.« Diese innere Verbindung zwischen Genitalien und Herz vertieft die Intimität zwischen den Partnern, weil sie einen energetischen Kreislauf in Gang setzt, der das sexuelle Zusammensein mit Liebe und Berührbarkeit erfüllt.
Ein lebendiger Mann im tantrischen Sinne ist ein sexueller und im Herzen berührbarer Mann. »Er ist – wie es eine alte tantrische Definition von Männlichkeit beschreibt ›einer, der das Staunen noch nicht verlernt hat‹.«
Und welche Tipps hält die chinesische Gesundheitslehre für das Sexleben von Männern und Frauen in der Lebensmitte bereit?
Christine Bodenschatz-Li ist Sinologin, Ärztin für chinesische Medizin und Buchautorin. In ihrer Praxis in der Hamburger Altstadt sammelt und studiert sie unter anderem chinesische Medizinklassiker – je älter, desto besser.
Ich hatte in ihrem Bestseller Der Weg der Kaiserin gelesen, dass Sexualität eine Möglichkeit sei, die Lebenskraft zu stärken. Im daoistischen Ritus dient Sex sogar ausdrücklich der Lebensverlängerung. Und das funktioniert am besten, wenn es einem der Partner gelingt, den anderen so »anzuheizen«, dass er dann in der sexuellen Begegnung dessen Lebenskraft wie ein Vampir »abzapfen« kann. Dem weniger gefestigten Partner geht dabei allerdings jedes Mal etwas von seiner Essenz verloren. Er wird geschwächt.
Eine Frau kann sich auf diese Weise von einem jüngeren Mann etwas von seiner noch in Fülle vorhandenen Energie holen, ein älterer Mann vermag von der unverbrauchten Vitalität einer jungen Frau zu profitieren, sie regelrecht als Quelle zu nutzen. »Im alten China haben sich Männer das bewusst zunutze gemacht. Heute, im modernen Westen, geschieht es unbewusst«, schreibt Christine Li und erklärt dazu: »Unsere Umwelt ist zwar einerseits übersexualisiert, dabei aber völlig unerotisch.«
Als ich sie fragte, wie denn aber ein älteres Paar sich gegenseitig stärken könne, wenn beiden nur noch relativ wenig »Essenz« zur Verfügung steht, erzählte mir Christine Li von ihren Forschungen über die Ming-Zeit (1368-1644): In dieser ansonsten konservativen Periode in der Geschichte Chinas wurden von einigen Philosophen und Ärzten die althergebrachten Vorstellungen von Sexualität kritisiert: Die Beschreibungen von Sexualtechniken läsen sich wie Anleitungen zur strategischen Kriegsführung zwischen Mann und Frau, hieß es. Denn wer nach diesen Vorgaben dem Gegner beim Sex die Essenz entlocken wollte, ohne sich selbst etwas zu vergeben, musste emotional unbeteiligt bleiben. Und im Kampf um die Lebenskraft konnte nur einer, er oder sie, gewinnen, also Beute machen. Einer dieser Ärzte, Zhang Jingyue, klagte: Insbesondere die Frauen würden dabei oft sehr traurig und einsam und mit vielfältigen Krankheiten zurückbleiben, wenn die Männer auf der Jagd nach ewiger Jugend ihre Machtposition ausnutzten, um immer jüngere Konkubinen zu erwerben.
»Seit der Ming-Zeit«, so Christine Li, »wurden daher neokonfuzianische Theorien aus dem 12. Jahrhundert weiterentwickelt. Das Ergebnis war die
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