Wo die Nacht beginnt
Hand aus, schüttelte das Handgelenk und entließ dabei eine Schattengestalt in den Raum. Ein Schatten, der genauso aussah wie sie, spazierte in Susannas Schlafkammer davon.
»Was war das?«, fragte ich und wagte kaum zu atmen.
»Mein lebender Schatten. Er wird zu Master Norman gehen und dafür sorgen, dass wir nicht gestört werden.« Goody Alsops Lippen bewegten sich, und der Luftzug erstarb. »Jetzt, wo Fenster und Türen versiegelt sind, wird uns auch niemand belauschen. Ihr könnt also ganz beruhigt sein, Susanna.«
Das waren zwei Zauberformeln, die im Haus eines Spions äußerst nützlich sein konnten. Ich klappte den Mund auf, um Goody Alsop zu fragen, wie sie funktionierten, aber bevor ich auch nur einen Ton herausgebracht hatte, hob sie leise lachend die Hand.
»Ihr seid sehr neugierig für eine erwachsene Frau. Ich fürchte, Ihr werdet Susannas Geduld noch mehr auf die Probe stellen als Jeffrey.« Sie lehnte sich zurück und betrachtete mich zufrieden. »Ich habe lange auf Euch gewartet, Diana.«
»Auf mich?«, fragte ich zweifelnd.
»Ohne jede Frage. Es sind schon viele Jahre vergangen, seit die ersten Wahrsagerinnen Eure Ankunft ankündigten, und im Lauf der Zeit hat so manche unter uns die Hoffnung aufgegeben. Aber als unsere Schwestern uns von den Vorgängen im Norden berichteten, war mir klar, dass Ihr bald eintreffen würdet.« Goody Alsop meinte Berwick und die Geschehnisse in Schottland. Ich beugte mich vor und wollte sie genauer befragen, aber Matthew schüttelte kaum merklich den Kopf. Er war immer noch nicht sicher, welcher Hexe er trauen konnte. Goody Alsop bemerkte seine stumme Einmischung und lachte wieder.
»Ich hatte also recht«, erklärte Susanna erleichtert.
»Ja, Kind. Diana ist wahrhaftig eine Weberin.« Kraftvoll wie ein Zaubertrank hallten Goody Alsops Worte im Raum wider.
»Was heißt das?«, fragte ich flüsternd.
»Unsere Lage ist uns in vieler Hinsicht unverständlich, Goody Alsop.« Matthew nahm meine Hand. »Vielleicht solltet Ihr uns beide wie Jeffrey behandeln und es uns so erklären, wie Ihr es einem Kind erklären würdet.«
»Diana erzeugt ihre eigenen Zauberformeln«, sagte Goody Alsop. »Es gibt nur sehr wenige von uns Weberinnen. Darum hat die Göttin Euch zu mir gesandt.«
»Nein, Goody Alsop. Ihr irrt«, protestierte ich kopfschüttelnd. »Ich beherrsche gar keine Zauberformeln. Meine Tante Sarah besitzt große Fähigkeiten, aber nicht einmal sie konnte mich die Hexenkunst lehren.«
»Natürlich nützen Euch die Formeln anderer Hexen nichts. Ihr müsst Eure eigenen ersinnen.« Goody Alsops Erklärung widersprach allem, was man mir bis dahin erzählt hatte. Ich sah sie erstaunt an.
»Hexen lernen Zauberformeln. Wir erfinden sie nicht.« Die Formeln wurden von einer Generation an die nächste weitergegeben, innerhalb der Familien und unter den Mitgliedern eines Konvents. Wir wachten eifersüchtig über unser Wissen, verzeichneten alle Worte und Gesten in unseren Zauberbüchern und dazu die Namen der Hexen, die den begleitenden Zauber beherrschten. Erfahrenere Hexen unterrichteten die jüngeren Mitglieder eines Konvents, damit sie später in ihre Fußstapfen traten, wobei sie auf die kleinsten Feinheiten jedes Spruchs achteten und sich gleichzeitig die Erfahrungen merkten, die verschiedene Hexen damit gemacht hatten.
»Weberinnen schon«, widersprach Goody Alsop.
»Ich habe noch nie von Weberinnen gehört«, wandte Matthew vorsichtig ein.
»Das haben die Wenigsten. Von diesem Geheimnis weiß kaum eine Hexe, von Wearhs ganz zu schweigen. Ihr jedoch versteht Euch auf Geheimnisse und wisst sie zu wahren, nehme ich an.« Ihre Augen funkelten ironisch.
»Ich lebe schon viele Jahre, Goody Alsop. Es fällt mir schwer zu glauben, dass die Hexen über all die Jahrhunderte das Wissen von diesen Weberinnen vor den anderen Kreaturen geheim halten konnten.« Er sah sie finster an. »Ist das wieder eines von Hubbards Spielen?«
»Ich bin zu alt für irgendwelche Spiele, Monsieur de Clermont. O ja, ich weiß, wer Ihr in Wahrheit seid und welchen Rang Ihr in unserer Welt einnehmt«, ergänzte Goody Alsop, als Matthew sie überrascht ansah. »Vielleicht könnt Ihr die Wahrheit nicht so gut vor den Hexen verbergen, wie Ihr glaubt.«
»Vielleicht nicht«, schnurrte Matthew warnend. Seine Reaktion schien die alte Frau nur noch mehr zu erheitern.
»Mit diesem Knurren könnt Ihr Kinder wie Jeffrey und John und vielleicht mondsüchtige Dämonen wie Euren Freund Christopher
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