Wo die Nacht beginnt
verfehlten auch meine magischen Versuche ihr Ziel.
»Offenbar nicht. Wenn Ihr nur versucht hättet, ein Ei aufzuschlagen, würden wir jetzt Susannas exzellenten Kuchen essen. Ihr hattet etwas anderes im Sinn.« Das Küken pflichtete ihr mit einem besonders lauten und klaren Piepsen bei.
Sie hatte recht. Tatsächlich hatte ich etwas anderes im Kopf gehabt: unser Kind, ob wir es großziehen konnten, wie wir es schützen sollten.
Goody Alsop nickte. »Das dachte ich mir.«
»Aber ich habe keine Worte gesprochen, kein Ritual durchgeführt, nichts zusammengerührt.« Ich klammerte mich an das, was Sarah mir über die Hexenkunst beigebracht hatte. »Ich habe nur ein paar Fragen gestellt. Es waren nicht einmal besonders kluge Fragen.«
»Magie entspringt aus einem Verlangen. Die Worte kommen viel, viel später«, erklärte Goody Alsop. »Selbst dann kann eine Weberin ihren Spruch nicht immer auf ein paar Zeilen verdichten, sodass andere Hexen ihn verwenden können. Manche Gewebe widersetzen sich, so sehr wir uns auch bemühen. Die können nur wir allein verwenden. Darum fürchtet man uns.«
»Es beginnt mit Mangel und Verlangen«, murmelte ich. Wieder einmal prallten Vergangenheit und Gegenwart aufeinander, als ich den ersten Vers auf jener einzelnen Seite aus Ashmole 782 rezitierte, die jemand meinen Eltern geschickt hatte. Diesmal sah ich nicht weg, als es in den Ecken hell wurde und die Staubflusen blau und golden zu leuchten begannen. Genauso wenig wie Goody Alsop. Matthews und Susannas Blicke folgten unseren, aber beide konnten nichts Ungewöhnliches feststellen.
»Ganz genau. Seht nur, wie die Zeit Euer Fehlen spürt und möchte, dass Ihr Euch in Euer früheres Leben zurückwebt.« Sie klatschte begeistert in die Hände, als hätte ich ein besonders schönes Wachsmalkreidebild von ihrem Haus gemalt, das sie an ihre Kühlschranktür heften wollte. »Natürlich ist die Zeit noch nicht für Euch bereit. Sonst würde das Blau viel heller strahlen.«
»Bei Euch klingt das so, als könnte man Magie und Zauberkunst kombinieren, dabei sind das zwei verschiedene Dinge«, wandte ich, immer noch verwirrt, ein. »In der Hexenkunst verwenden wir Formeln, Magie hingegen ist eine ererbte Macht über ein Element wie Luft oder Feuer.«
»Wer hat Euch denn diesen Unfug beigebracht?«, schnaubte Goody Alsop, und Susanna sah mich entsetzt an. »Magie und Zauberkunst sind nur zwei Wege, die sich im Wald kreuzen. Eine Weberin kann an dieser Kreuzung stehen, mit einem Fuß auf jedem Weg. Sie kann den Platz zwischen beiden einnehmen, dort, wo die Kraft am stärksten ist.«
Die Zeit protestierte mit einem lauten Aufschrei gegen diese Enthüllung.
»Als Kind zwischen allen Stühlen, immer anders als andere Hexen«, murmelte ich erstaunt vor mich hin. Der Geist von Bridget Bishop hatte mich vor den Gefahren gewarnt, die mit einer so angreifbaren Position einhergingen. »Bevor wir herkamen, erklärte mir der Geist einer Ahnin – Bridget Bishop –, dass dies mein Schicksal sei. Sie muss gewusst haben, dass ich eine Weberin bin.«
»Eure Eltern wussten es auch«, sagte Goody Alsop. »Ich kann die letzten Stränge ihres Bannspruchs sehen. Euer Vater war ebenfalls Weber. Er wusste, dass Ihr seinem Weg folgen würdet.«
»Ihr Vater?«, fragte Matthew.
»Männer können kaum weben, Goody Alsop«, wandte Susanna ein.
»Dianas Vater war ein sehr begabter Weber, aber ungeübt. Sein Spruch war eher zusammengeflickt als ordentlich gewoben. Trotzdem war er ein Zeichen seiner Liebe und erfüllte lange Zeit seinen Zweck, ähnlich der Kette, die Euch an Euren Wearh bindet, Diana.« Die Kette war meine Geheimwaffe und Quell der tröstlichen Gewissheit, dass Matthew auch in meinen dunkelsten Momenten ein Anker für mich sein würde.
»Bridget hat mir in jener Nacht noch etwas erklärt: Es führt kein Weg nach vorn, ohne dass er dich dort erwartet. Sie muss auch von Matthew gewusst haben«, gestand ich.
»Von dieser Unterhaltung hast du mir nie erzählt, mon cœur «, sagte Matthew, aber er klang eher neugierig als beleidigt.
»Kreuzungen und Wege und vage Prophezeiungen erschienen mir damals nicht weiter wichtig. Und dann passierte so viel, dass ich es völlig vergaß.« Ich blickte Goody Alsop an. »Außerdem, wie hätte ich Zaubersprüche weben können, ohne es überhaupt zu wissen?«
»Weberinnen sind von Mysterien umgeben«, eröffnete mir Goody Alsop. »Wir haben keine Zeit, jetzt Antworten auf all Eure Fragen zu finden, stattdessen
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