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Wo die verlorenen Seelen wohnen

Wo die verlorenen Seelen wohnen

Titel: Wo die verlorenen Seelen wohnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dermot Bolger
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von Thomas’ verrückten Fantasien erzählt. Dass er glaubte, der Junge zu sein, in den sie sich vor zwei Jahren verliebt hatte. Shane. Dass er nur auf einmal in einem alten Körper versteckt war. Thomas hatte mich benutzt, um sie in sein Haus zu locken. Aber das konnte ich Geraldines Oma jetzt nicht alles erklären. Deshalb rief ich nur: »Ich hab eine Idee«, und rannte dann in Richtung Castledawson Avenue davon.

D REIUNDVIERZIGSTES K APITEL
    J OEY
    N OVEMBER 2009
    A ls ich das Haus von Thomas McCormack erreicht hatte, kletterte ich hastig über die Mauer. Ich zwängte mich durch das Gewirr an Ranken und Zweigen in dem verwilderten Garten. Mir war egal, ob ich völlig zerkratzt wurde. Ich musste unbedingt schnell in das Haus hinein, vielleicht konnte ich in letzter Sekunde verhindern, dass Geraldine irgendetwas geschah. Aber vielleicht war es auch schon zu spät und diesmal würde ich dort zwei bewusstlose Körper finden.
    Die Hintertür zur Küche stand weit offen, als wäre jemand dort vor Kurzem hineingestürmt. Drinnen war es merkwürdig still. Durch die schmutzigen Fenster kam etwas Mondlicht herein und so tastete ich mich bis zur Hintertreppe voran. Schauder liefen durch meinen Körper und ich musste mich zwingen, nicht umzukehren und davonzurennen.
    Die vollkommene Stille um mich herum hatte etwas Unnatürliches. Ich misstraute ihr, weil ich zu spüren glaubte, dass es in Wahrheit gar keine Stille war, sondern mich das unhörbare Flüstern zahlreicher Stimmen umgab. Die Geister griffen nach meinen Haaren, sie schrien erzürnt auf und setzten sich gegen mein Eindringen zur Wehr. Ich wandte mich um und spürte, dass sie in einiger Entfernung auch stehen geblieben waren. Siehielten nicht den Atem an wie ich, weil sie schon seit Langem aufgehört hatten zu atmen. Aber sie beobachteten mich, wollten, dass ich so schnell wie möglich das Haus verließ.
    Ich hatte Angst, ohne zu wissen, wovor. Noch vor zwei Monaten hätte ich mich nie getraut, überhaupt so etwas zu tun, einfach in ein altes, leer stehendes Haus eindringen. Damals wäre ich am liebsten für alle unsichtbar gewesen. Shane hatte recht: Die Freundschaft mit ihm hatte mich verwandelt. Ich konnte hier auf der Treppe sozusagen einem Zweikampf zwischen den beiden Joey Kilmichaels in mir beiwohnen. Der eine, der mich am liebsten aus der Küche gezerrt hätte, war der ängstliche Junge von früher, mit dem die anderen leichtes Spiel hatten. Er flehte mich an, so schnell wie möglich zu fliehen. Der andere, der auch Angst hatte, aber wild entschlossen war weiterzugehen, war der junge Mann, der ich werden wollte: weder einer, der wie ein Schatten an Shane klebte, noch eine Kopie meines Vaters, sondern ein unabhängiger Mensch, der seine eigenen Entscheidungen traf. Wenn Geraldine hier in dem Haus war, dann würde ich sie herausholen, dazu war ich fest entschlossen.
    Ich kam in die Eigangshalle. Meine Augen gewöhnten sich allmählich an die Dunkelheit. Meine Ohren achteten auf jedes Geräusch. Ich hatte nicht länger das Gefühl, von unsichtbaren Geistern umgeben zu sein, sondern fühlte mich unendlich einsam. Wenn mir hier irgendetwas zustieß, würde man mich wahrscheinlich nie finden. Aber was sollte mir denn schon passieren? Ich war jung und stark. Thomas war ein gebrechlicher alter Mann, den ich leicht überwältigen konnte. Dann hörte ich ein schwaches Geräusch, wie ein Seufzer oder das Tropfen eines Wasserhahns. Aber ich wusste, dass es sich dabei um eine menschliche Stimme handelte. Ich durchquerte die Halle und sah, dass unter einer Tür ein Lichtstreifen war.
    Wenn Thomas Geraldine hier in einem Zimmer gefangen hielt, würde ich ihn umbringen. Wenn er ihr auch nur ein Haar gekrümmt hatte, würde ich ihn in Stücke zerreißen. Vorsichtig schob ich die Tür auf. Der alte Mann saß in seinem abgewetzten Sessel und Geraldine kniete vor ihm und streichelte sein Gesicht. Beide hatten Tränen in den Augen. Geraldine wirkte nicht, als würde man sie hier gegen ihren Willen festhalten oder als hätte man sie eingesperrt. Sie wirkten wie zwei Menschen, die sich liebten und nach einer langen Trennung endlich wiedergefunden hatten. Wie ein echtes Liebespaar. Es war ein merkwürdiges Bild. Geraldine wirkte dabei ganz traurig und verloren. Aber Thomas auch. Irgendetwas daran machte mich wütend und ich schlug mit der Faust gegen die Tür. Das Geräusch ließ beide zusammenfahren. Dann blickten sie in meine Richtung.
    »Was machst du hier, Joey?« Geraldines

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