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Wo die verlorenen Seelen wohnen

Wo die verlorenen Seelen wohnen

Titel: Wo die verlorenen Seelen wohnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dermot Bolger
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nicht rühren. Dann hörte ich auf einmal die Sirene eines Polizeiautos und mein Selbsterhaltungsinstinkt war geweckt. Ich rappelte mich auf und rannte los, ich rannte und rannte, obwohl aufgebrachte Autofahrer, die angehalten hatten, sich mir in den Weg zu stellen versuchten. Ich rannte immer weiter, bis ich schließlich im St Vincent’s Park war. Hinter mir hörte ich Shane. Als wir es bis Temple Hill geschafft hatten und uns keiner mehr verfolgte, machte er einen Satz und schmiss sich von hinten auf mich. Ich stürzte und Shane war mit dem ganzen Gewicht seines Körpers übermir, mit den Knien presste er meine Schultern nach unten und schlug mich ins Gesicht.
    »Was war das denn? Du bist wohl völlig verrückt geworden«, rief er. »Ich wollte nur einen Freund, das war alles. Vielleicht erfinde ich ab und zu ein paar Geschichten, aber seit meine Eltern bei dem Brand ums Leben gekommen sind, ist das eben so, ich brauch noch eine Weile, bis ich mit allem zurechtkomme.«
    Shane hörte auf, mich zu schlagen, und hockte eine Weile stumm neben mir auf dem Boden, während ich mein Gesicht betastete. Ich hatte Nasenbluten.
    »Mir tun die Knöchel weh«, sagte Shane.
    »Bestimmt kein Vergleich zu meiner Nase«, sagte ich.
    »An unserem ersten Schultag hier hast du dich total in dich verkrochen. Kann schon sein, dass ich ein paar Lügengeschichten aufgetischt habe, aber ich hab dich aus der Reserve gelockt.«
    Ich stand auf und wischte mir das Blut aus dem Gesicht. Meine Knie waren schlimm aufgeschürft. Ich schaute auf Shane runter und wollte nur noch weg und ihn nie wiedersehen.
    »Ich glaub dir kein Wort mehr«, sagte ich.
    Shane blickte hoch. Ich hatte das Gefühl, dass er mich musterte und eine Entscheidung fällte. »Du willst wirklich die Wahrheit wissen?«
    »Ja. Dein richtiges Alter wär schon mal ein Anfang.«
    Er machte eine Handbewegung, als wäre das die dümmste Frage, die er jemals gehört hatte. »Schau mich an, Joey. Ich bin sechzehn, was sonst? Und ich bin einfach ein Typ, der immer mal gern ein bisschen was aufmischt. Ich hab geahnt, dass Thomas dir irgendwann auflauern würde. Deshalb hab ich mir einen Spaß draus gemacht, dir dieselben Lügengeschichtenzu erzählen wie er. Er ist krank im Kopf und glaubt wirklich, er sei ich. Aber ich hab’s vielleicht etwas übertrieben, tut mir leid.«
    »Und warum hast du dann nicht gewollt, dass ich mit dir zu dem Haus fahre? Warum hat dir das so einen Riesenschrecken eingejagt?«
    Shane sah wie ein Häufchen Elend aus, als er da auf dem Boden kauerte. Ich blickte kurz auf, ob schon was von der Polizei zu sehen war. »Mir graut einfach vor dem Haus. Ich finde es dort so unheimlich, ich mag da nicht mehr hin.« Er sah mich an. »Ich bin einfach total einsam, Joey, und wenn man einsam ist, erfindet man schnell mal ein paar Geschichten, um sich interessant zu machen. Okay, lass mich ehrlich sein. Halte dich besser von mir fern, Joey, hörst du? Aber halt dich auch von Thomas fern, verstanden? Lass dich nicht von ihm für seine Ziele einspannen. Er hat es auf Geraldine abgesehen. Das ist echt lächerlich, aber er ist heimlich in sie verknallt. Du darfst nicht zulassen, dass er mit ihr allein ist. Man darf ihn überhaupt mit niemandem allein lassen.«
    Ich ließ Shane sitzen, wo er war, und ging weg. Mir war schlecht. Ich fühlte mich einsam und verloren. Ich brauchte unbedingt jemand, der mich umarmte und mir sagte, dass alles wieder gut werden würde. Ich ging weiter und weiter, bis ich schließlich vor Geraldines Haus stand. Bevor ich klingelte, wischte ich mir noch übers Gesicht, damit ich nicht zu blutverschmiert aussah. Geraldines Großmutter machte sofort auf.
    »Du musst Joey sein.« Sie musterte mich.
    »Ist Geraldine da?«
    »Was ist mit dir passiert? Bist du in eine Schlägerei geraten? Wo ist Geraldine?«
    »Geraldine?«
    »Sie ist kurz vor sieben weg. Ich hab sie noch nie so angespannt erlebt. Sie hat mir nichts gesagt, aber ich hab gespürt, dass sie sich mit einem Jungen treffen wollte. Warst du das? Habt ihr miteinander Schluss gemacht?«
    »Aber wir sind gar nicht zusammen«, sagte ich.
    »Geraldine erzählt ganz oft von dir, sie scheint dich sehr zu mögen.« Geraldines Oma dachte nach. »Aber wo kann sie denn sein? Sie war so aufgeregt. Jetzt ist sie schon Stunden weg. Denk bitte nach, Joey. Mit wem könnte sie sich denn sonst noch getroffen haben?«
    Shanes Worte kamen mir in den Sinn. Er ist heimlich in sie verknallt. Am Nachmittag hatte ich ihr

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