Wo die verlorenen Seelen wohnen
werden. Als das Auto dahinschoss, hatte ich das erste Mal das Gefühl von Macht, das erste Mal fühlte ich mich ihm ebenbürtig.
»Auf zur Eagle Tavern«, rief ich, so wie er es immer wieder getan hatte.
Irgendwie brachte ich es fertig, am Ende der Einbahnstraße das Auto zu wenden, obwohl es einmal ausscherte und beinahe gegen eine Mauer geknallt wäre. Schließlich war das Manöver beendet und ich gab wieder richtig Gas, schrammte dabei aber einen geparkten SUV , bei dem der Alarm losging. Dann rasten wir durch die Straße, direkt auf den wütenden Pizzamann zu,der sich uns in den Weg stellte, dann jedoch schnell zur Seite sprang.
»Hast du völlig den Verstand verloren?«, rief Shane, als wir die Newtownpark Avenue erreicht hatten. »So was passt doch gar nicht zu dir.«
»Woher willst du denn wissen, was zu mir passt und was nicht?« Ich bog nach rechts ab, wobei ich beinahe mit Autos aus beiden Richtungen zusammengestoßen wäre. »Vielleicht bin ich ja ganz anders, als du denkst, und habe meinen eigenen Kopf.«
»Dann benutz ihn verdammt noch mal. Halt an, bevor du uns beide umgebracht hast.«
Ich sah Furcht in seinen Augen. »Ich dachte, du kannst nicht sterben«, sagte ich. »Wie kann ein Untoter denn bei einem Autounfall ums Leben kommen?«
»Tu nicht so superschlau«, antwortete er. »Das steht dir nicht.«
»Du bist ein Geschichtenerzähler und Schwindler.«
»Was weißt du denn schon.«
»Thomas und du, ihr seid beide total krank im Kopf.«
Shane packte mich am Arm. »Brems!«
Wir waren an dem Autohändler und der Kirche vorbeigerast und näherten uns den Ampeln an der Kreuzung von Newtownpark Avenue/Stradbrook Road. Ich musste auf die andere Fahrbahn wechseln, weil ich nicht mehr rechtzeitig abbremsen konnte. Die Autos, die uns entgegenkamen, wichen hastig auf den Gehweg aus. Irgendwie schaffte ich es, links abzubiegen, ohne mit einem anderen Auto zusammenzustoßen, und dann rasten wir die Temple Hill entlang.
»Wie war das eigentlich mit deiner Tante in England? Warum ist die denn gestorben?«, fragte ich.
»Sie ist mit ihrem Auto gegen einen Baum gefahren, es war Selbstmord. Wir haben es nicht gut miteinander ausgehalten. Ich hab immer versucht, nett zu ihr zu sein, aber sie hatte Angst vor mir.« Die Fahrer, die uns entgegenkamen, drückten auf die Hupe, weil ich die Spur nicht halten konnte. »Wo fährst du überhaupt hin?«
»Es gibt da ein altes Haus, das ich dir gern zeigen möchte. Früher war dort mal eine Molkerei.«
Shane sah mich entsetzt an. »Thomas! Er benutzt dich!«
»Keiner benutzt mich. Ich will endlich wissen, was da eigentlich gespielt wird.«
»Du kriegst mich nicht dazu, meinen Fuß in dieses Haus zu setzen. Nur über meine Leiche.«
Shane hatte die Beifahrertür aufgerissen. Er schien sich tatsächlich lieber aus dem Auto stürzen zu wollen, mit dem Risiko, dabei ums Leben zu kommen, als sich auch nur noch ein Stück weiter dem Haus in der Castledawson Avenue zu nähern.
»Mach die Tür zu!«, brüllte ich.
Er blickte über die Schulter zurück. »Du glaubst, dass du tust, was du willst, aber der Strippenzieher ist immer ein anderer.«
Er wollte springen und ich trat scharf auf die Bremse. Das Auto kam ins Schleudern. Die rasende Wut in mir war auf einmal verschwunden. Ich wollte nicht sterben, keinesfalls, das spürte ich in diesem Augenblick. Aber es lag nicht mehr in meiner Macht. Ich konnte nichts mehr tun, um einen tödlichen Unfall zu verhindern. Das Auto drehte sich um sich selbst, die Reifen stießen gegen die Bordsteinkante, beinahe hätte es sich überschlagen. Dann fuhr es in eine Bushaltestelle hinein, an der zum Glück niemand wartete. Die Glasscheibe des Wartehäuschens zersplitterte und die Scherben prasselten auf das Autodach.
Z WEIUNDVIERZIGSTES K APITEL
J OEY
N OVEMBER 2009
I ch konnte mich nicht bewegen. Aus meinem Körper war alle Energie verschwunden. Es war ein Wunder, dass an der Bushaltestelle niemand gewartet hatte. Sonst hätte ich jetzt jemand getötet. Ich wusste nicht mehr, was in mich gefahren war. Wie hatte ich nur so etwas tun können. Ich stand unter Schock. Es war mir egal, was jetzt mit mir passierte. Ich wäre reglos im Auto sitzen geblieben und hätte gewartet, bis die Polizei kam. Aber Shane war schon ausgestiegen und zerrte auf meiner Seite die Tür auf. Er hievte mich aus dem Auto.
»Hast du sie nicht mehr alle?«, brüllte er. »Du bist total durchgeknallt. Jetzt nichts wie weg von hier.«
Aber ich konnte mich
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