Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen
abzulassen und zum Reisen«, schreibt er. »Nach einer Woche schweigend verbrachter Arbeit, in der sie ihre Frustrationen anstauten, begriff man die Samstagnacht als Zeit der Beichte. Als eine Art Zone ›außerhalb der Zeit‹, wo man alles und jedes zu allen und
jedem sagen konnte. Es blieb ohne Folgen: Der Montagmorgen brach an und alles war vergessen. Und zu einer Zeit, als man nur die beiden Füße als Transportmittel hatte, war Alkohol eine beliebte Fluglinie.«
Ich finde das natürlich hochsympathisch. Allerdings merke ich bald, dass die Tatsache, dass man nicht über den Abend spricht, trotzdem nicht heißt, dass keiner davon weiß. »Und du bist jetzt also Ehrenwikingerin?«, fragt Gisli aus der Box nebenan. Und kichert mit bebenden Schultern.
Da hilft nur eins, ich kontere mit der Elfenfrage. »Gisli, sag mal, glaubt ihr eigentlich wirklich an Elfen?«, frage ich. Schließlich hatte ich in deutschen Medien mehrfach von jener Elfenbeauftragten gelesen und auch davon, dass das isländische Bauamt extra prüfen lässt, welche Steine oder Felsen weggeräumt werden dürfen, wenn man Straßen bauen will. Es soll nämlich schon vorgekommen sein, dass Bagger, Bohrmaschinen und Bulldozer aus unerklärlichen Gründen kaputtgegangen sind, sobald man sich an den falschen Felsen zu schaffen machte. Außerdem hatte ich vom huldufólk gehört, den sogenannten versteckten Leuten, zu denen einige auch die Elfen zählen. Manche behaupten, es sei eine Art Parallelwelt, die hier überall existiert. Wie ein paralleler Radiosender, in den man sich eintunen kann. Allerdings können die versteckten Leute die Menschen sehen, aber die wenigsten Menschen die versteckten Leute.
Gisli stöhnt. Damit ist die Sache für ihn erledigt. Ausnahmsweise kriege ich nicht viel aus ihm heraus. Er scheint die Frage nicht sonderlich zu mögen. Also wende ich mich an ein paar andere Kollegen. Doch die Antworten sind gegensätzlich, widersprüchlich und rätselhaft.
Einige winken bei der Elfenfrage genervt ab, andere grinsen nur oder sagen: »Das sind Geschichten von früher.« Wieder andere
sagen: »Das ist das, was wir den Touristen erzählen, die kaufen alles, was mit Elfen zu tun hat.« Spricht man sie jedoch konkret darauf an, ob sie nun an Elfen glauben oder nicht, sagen die meisten ein und denselben Satz: »Ich habe zwar noch keine gesehen, aber das heißt ja nicht, dass es sie nicht gibt!«
Ich bin verwirrt. Bis ich die Frage nach einer Weile einmal anders formuliere. »Wenn es euch so nervt, warum sagt ihr denn dann, dass ihr an Elfen glaubt?«, frage ich einen Kollegen. Er schmunzelt. Fast so, als hätte ich ihn ertappt. »Nun«, sagt er, »ich denke, weil es im Zweifel einfach die interessantere Antwort ist.«
Da hatten wir es also. Die Isländer sind Geschichtenerzähler. Das sind sie übrigens fast alle, quasi von Natur aus und seitdem ihre Vorfahren auf dieser unwirtlichen Insel im Nordatlantik siedelten. Aus einem einfachen Grund: Man brauchte Geschichten. Um Durchzuhalten und nicht verrückt zu werden in den endlosen, dunklen Wintern in den Torfgehöften auf dieser menschenfeindlichen Insel, auf der die Unwetter, die Kälte und die Vulkanausbrüche Flüche waren gegen die nur zweierlei half: Die Hoffnung auf bessere Tage und gute Geschichten, um sich bis dahin abzulenken.
Die ersten Siedler hatten ihre Höfe weit auseinander gebaut, weil man im isländischen Klima sehr viel Land braucht, um eine Familie zu ernähren. Folglich gab es bis ins 18. Jahrhundert hinein fast keine Dörfer und auch keine Gruppenunterhaltung wie etwa Theater. Deshalb musste jeder auf dem Hof selbst ein guter Unterhalter sein. Und so erzählte man sich abends, im funzeligen Schein der Fischtranlampen, während die Frauen Wolle sponnen oder strickten und die Männer Seile aus Rosshaar fertigten, Geschichten, Mythen, Legenden, Göttersagen, Märchen und Neuigkeiten aus der Umgebung. Oder man trug Gedichte vor. Manchmal gab es richtige Dichtwettbewerbe.
Aus diesen Zeiten bereits rührt die mündliche Erzähltradition Islands, die vermutlich stark von den keltischen Sklaven inspiriert wurde, die man damals mit auf die Insel brachte. Und sie ist bis in die heutigen Tage lebendig geblieben. Die oben beschriebenen Abendwachen hielt man auf dem Land teilweise noch bis zum 19. und 20. Jahrhundert aufrecht, bis das Radio kam. Man las Romane vor, Novellen oder aus den berühmten mittelalterlichen Sagas, die von großen Helden, wilden Konflikten und blutiger Rache
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