Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen
Rós eigentlich auf Isländisch singt oder in einer Fantasiesprache. Seine Antwort: »Frag ihn doch selbst!« Schon habe ich auch seine Nummer. Ich bin verblüfft. Nie war Recherche so einfach!
Aber das ist natürlich auch kein Wunder. In einem Land, in dem nur gut 300 000 Einwohner leben, kennt jeder jeden oder
ist sogar miteinander verwandt. Da bleiben kaum Geheimnisse. Außerdem steht hier sowieso jeder im Telefonbuch und das ist nebenbei nach Vornamen sortiert. Denn man duzt sich. Jeden. Sogar den Präsidenten. Außerdem würde die Sortierung des Telefonbuchs nach Nachnamen das Leben nicht leichter machen, da fast jeder in einer Familie einen anderen hat. Das ist jetzt keine Anspielung auf die große Anzahl an Patchworkfamilien, die es in Island gibt, sondern auf das Namensprinzip. Die Kinder bekommen den Vornamen des Vaters, dazu die Endung -dóttir für Tochter oder -son für Sohn. Ich würde in Island Andrea Eckhardsdóttir heißen, weil ich die Tochter von Eckhard bin. Oder, da es neuerdings auch in Mode ist, die Kinder nach der Mutter zu benennen, Brigittedóttir. Das Namensprinzip war früher überall im nordgermanischen Raum üblich, aber in Island hat es sich gehalten.
Vielleicht, weil es die Leute bis heute interessiert, wer aus welcher Sippe stammt. Eine beliebte Frage, wenn zwei Isländer sich zum ersten Mal treffen, lautet: »Woher kommst du?«, und damit ist nicht nur der Heimatort gemeint, sondern auch, aus welcher Familie. Die Isländer sind ganz versessen auf Stammbäume.
»Gisli?«, frage ich.
»Jau!«, sagt er. Das isländische »ja«, wird zwar »já« geschrieben, aber wie ein fröhliches »jau« ausgesprochen.
»Bist du etwa auch mit Björk verwandt?«
Gisli, in der Nachbarbox, tippt etwas in seinen Computer. Dann sagt er: »Wir haben gemeinsame Verwandte im 14. Jahrhundert. « Es gibt nämlich eine Datenbank namens Íslendingabók (Buch der Isländer), erklärt Gisli, in der die Isländer online nachschauen können, mit wem sie wie verwandt sind. Manche wenige können ihre Stammbäume bis zu den ersten Siedlern zurückverfolgen.
Und noch etwas ist bemerkenswert in Island, die Nachrufseiten im Morgunblaðið . In Island stirbt nämlich niemand, ohne hinterher einen Artikel in der Zeitung zu bekommen. Sie werden von den Verwandten und Freunden geschrieben, an die Zeitung geschickt und dann seitenlang abgedruckt. So erfährt man allerhand Interessantes. »Er war ein guter Isländer – er starb am Nationaltag«, hat mal einer über einen Verwandten geschrieben. Ein anderer bemerkte: »Eigentlich hatte er an diesem Tag etwas anderes vor.« Ich habe mal einen Schriftsteller getroffen, dessen Nachrede für einen Verwandten aus Versehen immer wieder nicht abgedruckt wurde, weshalb er das Gefühl bekam, der Verwandte sei noch gar nicht tot. Wobei viele Isländer ohnehin davon überzeugt sind, dass die Seelen der Verstorbenen die Erde nicht verlassen, sondern noch irgendwie anwesend sind.
Aber zurück zu den Lebenden. Die Leser des Morgunblaðiðs dürfen nicht nur Nachrufe verfassen, sondern auch Leserbriefe zu allen möglichen eigenen Themen schreiben, sie müssen sich dabei nicht einmal auf die Artikel in der Zeitung beziehen. Wer etwas zu erzählen hat, bekommt hier eine Plattform. Warum auch nicht? Das ist übrigens eine beliebte Frage in Island. Eine andere Zeitung druckt ja auch jeden Samstag die Namen derer ab, die in der kommenden Woche einen runden Geburtstag haben.
Ich werfe einen Blick auf meine Themenliste. Da ich kein Isländisch spreche und mein Stipendium wie ein Austausch funktioniert – ein isländischer Journalist ist zur gleichen Zeit in Berlin – werde ich von hier aus vor allem für deutsche Medien arbeiten. Ich erzähle Gisli, dass ich eine Geschichte über den Krimiautor Arnaldur Indriðason schreiben möchte, der in Deutschland damals gerade seinen ersten Krimi veröffentlicht hat.
»Arnaldur?«, sagt Gisli. »Der ist nett. Er hat mal Filmkritiken für uns geschrieben.« Schon habe ich seine E-Mail-Adresse. Dann allerdings mache ich meinen ersten großen Fehler. Ich erzähle, dass ich außerdem den Auftrag habe, für eine Zeitschrift eine Geschichte über die traditionelle isländische Küche zu schreiben. Das hätte ich besser nicht tun sollen. Denn Gisli geht in seiner Freizeit nicht nur gern jagen und hat zu Hause einen halben, ausgestopften Bären über seinem Kamin hängen, den er mal in Kanada geschossen hat, er liebt auch die traditionelle, isländische
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