Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen
Umgebung hat.
Es geht auf die Laugavegur. Die wichtigste Straße der Stadt, die Lebensader, in der alles zusammenfließt. Über ihrem Eingang prangt ein Schild, auf dem » The Main Shopping Street« steht. Was man allerdings auch von allein herausbekommen hätte, denn so viele gibt es davon nicht. Laugavegur bedeutet übrigens »Weg der heißen Quellen«. Früher zogen die Frauen hier entlang, wenn sie ihre Wäsche waschen wollten; heute steht im Tal der heißen Quellen, am Ende der Straße, das größte Schwimmbad der Stadt. In der Haupteinkaufsstraße bummelt
man vorbei an lässigen Boutiquen, Souvenir-Shops, Galerien, Buchläden, Restaurants und Cafés.
Mein erster Kontakt zu einem Einheimischen erfolgt etwas unvermittelt. Ein Typ auf der Straße spricht mich an. Er murmelt etwas Unverständliches, in einer Sprache, die fremd und rätselhaft klingt, mal hart, mal weich, mal wie der wispernde Wind. Ich zucke die Schultern und sage: »Sorry, I don’t understand.« Darauf er: »Do you have money?«
Ein Bettler also. Ich krame ein paar Münzen hervor, auf deren Rückseiten Dorsche, Delfine, Strandkrabben und Seehasen graviert sind und auf der Vorderseite die vier Schutzgeister Islands: ein Adler, ein Drache, ein Stier und ein Riese. Meine Kollegen beim Morgunblaðið werden sich später kaputtlachen. Darüber, dass meine erste Begegnung mit einem Isländer ausgerechnet mit einem Bettler war. Bettler sind selten in Island. Es ist das Jahr 2003, in Island herrscht nahezu Vollbeschäftigung, die meisten Isländer haben nicht nur einen, sondern gleich mehrere Jobs und nicht nur ein, sondern gleich mehrere Autos. Der Lebensstandard auf der Insel ist beeindruckend.
Nie war Recherche so einfach!
Als ich am nächsten Tag in den Bus steige, um zur Redaktion des Morgunblaðiðs zu fahren, strömt ein intensiver Geruch durch das Fahrzeug. Es dauert, bis ich den Duftherd lokalisiere. Es ist der Mann vor mir. Er knabbert Trockenfisch. Den liebt man in Island, man bekommt ihn in jedem Supermarkt. Weiße Flocken trockenen Fisches, als Snack zwischendurch. Manche bestreichen ihn mit etwas Butter oder nehmen ihn als Wegzehrung auf Wanderungen mit, weil er so gesund und so eiweißhaltig ist.
Beim Morgunblaðið , dessen Redaktion damals noch neben dem Einkaufszentrum Kringlan liegt, empfängt man mich herzlich. Und wenn ich bis dahin noch dachte, Island liege isoliert und abgeschieden von der Welt, werde ich spätestens jetzt eines Besseren belehrt. Manche Kollegen sprechen fließend Deutsch und erzählen von Interviews mit Nina Hagen, andere wollen wissen, was aus dem Kannibalen von Rothenburg geworden ist oder ob man auch schon mal bei den Bayreuther Festspielen war. Fast alle sprechen perfektes Englisch und waren schon weiß Gott wo in der Welt. Die Reiselust scheint den Isländern in den Genen zu liegen, seit die ersten Siedler mit ihren Holzbooten hier
ankamen. Zwar gibt es in Island das Sprichwort »Daheim ist es am besten«. Aber eben auch das Gegenstück »Dumm ist, wer zu Hause hocken bleibt«. Und so findet man in diesem Land kaum jemanden, der nicht in der Welt herumgekommen ist.
Die Redaktion sieht ein bisschen so aus, wie man es aus amerikanischen Filmen kennt. Große Räume, die durch Trennwände unterteilt sind. Jeder Redakteur hat eine eigene Box mit blauen Wänden. Ich bekomme eine am Fenster neben Gisli, dem Redakteur, der für das Sonntagsmagazin schreibt. Er trägt einen grünen Parka, Vollbart, hat blaue Augen und fast immer, wenn er etwas erzählt, ein schelmisches Grinsen. Und er liebt es, Geschichten zu erzählen. Welch Glück es ist, ausgerechnet neben ihm zu sitzen, werde ich in den nächsten Wochen erfahren.
Erst einmal bekomme ich einen Kaffee, das isländische Nationalgetränk, das man gern so stark trinkt, dass es einem die Schuhe auszieht. Zum Glück steht neben dem Kaffeeautomaten ein großer Milchspender. Denn nachmittags trinken die Isländer gern ein Gläschen Milch. Dann ist es Zeit, die ersten Fragen zu stellen. »Was macht eigentlich Vigdís Finnbogadóttir?« Von ihr habe ich gelesen. Sie war die erste Frau der Welt, die in einem demokratischen Land zum Staatsoberhaupt gewählt wurde. Von 1980 bis 1996 war sie die Präsidentin. Natürlich frage ich mich, wieso gerade die Isländer so fortschrittlich waren.
»Vigdís?«, sagen die Kollegen. »Die ist nett! Ruf sie doch mal an!« Schon habe ich ihre Handynummer. Vom Redakteur für Popkultur möchte ich wissen, ob der Sänger der Band Sigur
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