Wo immer Du bist, Darling
so fest zu, dass sich seine Finger schmerzhaft in ihren Arm bohrten.
Während er sie an sich riss, betitelte er sie mit einem Schwall wütender spanischer Schimpfwörter. » ¡Viva La Mano de Cuba! «, rief er in Richtung des Ladenbesitzers, dann zerrte er sie zur Tür.
»Nein … Nein!« Anja trat um sich, versuchte immer wieder, sich aus dem brutalen Griff zu entwinden. Vergebens.
Gänzlich unbeeindruckt von ihrer Gegenwehr schleifte er sie durch den Ausgang. Der jüngere Mann sah sich kurz nach ihnen um, nahm die Waffe runter und lief zügig voran.
Vor dem Laden wartete ein verbeulter schwarzer Wagen mit laufendem Motor. Der Boxertyp öffnete die Hintertür und stieß Anja in den Innenraum. Ohne innezuhalten, rutschte sie über die Sitzbank und versuchte, auf der anderen Seite wieder auszusteigen. Sie rüttelte wie eine Irre am Türgriff, was aber nichts bewirkte. Mit Absicht, wie ihr klar wurde , als sie das fiese Lachen ihres Entführers hörte.
Er ging um das Auto herum und setzte sich auf den Beifahrersitz, während der athletische Typ neben ihr auf die Rückbank glitt. Kaum befanden sich alle im Wagen, trat der Fahrer das Gaspedal durch. Das Fahrzeug schoss nach vorn und verließ die Hauptstraße in einem derart scharfen Bogen, dass Anja schmerzhaft gegen die Türverkleidung geworfen wurde. Sie klammerte sich mit beiden Händen fest.
In rasantem Tempo fuhren sie eine schmale Nebenstraße entlang und verließen nach wenigen Minuten die Ortschaft.
Anja löste widerwillig ihre Finger von dem nutzlosen Griff. Selbst, wenn sie es geschafft hätte, die Tür zu öffnen, wäre es blanker Selbstmord gewesen, bei dieser Geschwindigkeit aus dem Auto zu springen.
Der Mann vor ihr nahm Hut und Brille ab und fuhr sich durch die buschigen Haare. Ihr Sitznachbar tat es ihm gleich und warf die Sachen fluchend zur Seite. Er sah nach vorn, dann begann er zu reden . Schnell, aber beherrscht. Der Angesprochene drehte sich um und gab patzig Antwort.
Anja verstand kein Wort. Sie betrachtete verstohlen den Mann neben sich, wobei sie versuchte, seinen Gesten Aufschlussreiches über den Inhalt des Gesprächs zu entnehmen.
Er hatte rabenschwarzes Haar, das ihm leicht lockig in die Stirn fiel. Sein hageres, gut geschnittenes Gesicht sah aus wie von einem Bildhauer gemeißelt – und wirkte genauso unbewegt. Trotz der barschen Worte des anderen Mannes ließ er keine Gefühlsregung erkennen. Das mit Abstand auffälligste Merkmal an ihm waren jedoch seine Augen.
Da er ihr das Profil zuwandte, konnte Anja die Farbe nicht genau bestimmen, aber sie stachen, von dichten schwarzen Wimpern umgrenzt, ungewöhnlich hell aus dem braun gebrannten Gesicht hervor.
Sein schlanker Körperbau zeugte von Disziplin und Ausdauer. Die zackigen Bewegungen harmonierten perfekt mit den sehnig definierten Muskeln, die sich an seinem Halsansatz und an den unbedeckten Unterarmen deutlich abzeichneten. Alles an ihm vermittelte Kraft und Schnelligkeit, strahlte eine fast greifbare Energie aus. Die ständig sprungbereite Haltung, mit der er sich vorbeugte, untermauerte diesen Eindruck.
Sie kannte ihn zwar nicht, konnte sich aber gut vorstellen, dass es nicht ratsam war, sich ihn zum Feind zu machen.
Je länger das Gespräch dauerte, desto sicherer gelang es ihr, die immer wieder fallenden Namen den Männern zuzuordnen. Bevor die Unterhaltung genauso unvermittelt endete, wie sie begonnen hatte, wusste Anja: Der Boxertyp hieß Santos , während ihr Nachbar immer wieder mit Ramon angesprochen worden war.
Urplötzlich fiel ihr auf, dass sich die beiden offensichtlich keinen Deut darum scherten, wie ausgiebig Anja ihre unmaskierten Gesichter betrachten konnte. Diese Erkenntnis verursachte ein elendes Gefühl in ihrem ohnehin schmerzenden Magen. Würden ihre Entführer nicht versuchen, unerkannt zu bleiben, wenn sie die Absicht hatten, ihre Geisel wieder freizulassen?
Sie schluckte. Falls sie diese Absicht hatten!
Sie hatte keine Ahnung, was die Männer mit ihr zu tun gedachten. Vielleicht würden sie sie für eine Lösegeldforderung einsetzen oder als Druckmittel benutzen. Sicher würden die Typen sie nicht einfach … sie würden doch nicht … Anja konnte den Gedanken nicht zu Ende führen. Wenn sie darüber nachdachte, dass die Männer sie vielleicht umbrachten, würde sie komplett die Nerven verlieren. Sie musste einen kühlen Kopf bewahren und überlegen, was sie tun konnte. Hilflos blickte sie aus dem Fenster.
Die stetig wechselnde Landschaft
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