Wo mein Herz zu Hause ist
„Kennen Sie ihn?“
Die Frau starrte sie so lange an, dass Becky ganz warm wurde. Dann blickte sie zu ihrem Haus und sah auf einmal wirklich böse aus. „Ja, ich kenne Mr. Dalton.“
Au weia, die neue Nachbarin mochte ihren Dad offenbar nicht. Aber warum? Becky trat den Rückzug an. „Ich muss jetzt gehen. Mein Dad fragt sich bestimmt schon, wo ich stecke. Tschüss, Micky.“
„Sie heißt Michaela. Den Spitznamen Micky mag sie nicht“, korrigierte die Frau kühl.
„Oh. ’Tschuldigung.“ Becky beeilte sich, die Stufen hinunterzukommen.
Was für ein Pech – ein nettes Mädchen mit einer unausstehlichen Mutter. Aber so war es ja immer. Vielleicht stotterte Michaela ja deshalb: Sie sehnte sich nach Freunden, aber ihre Mutter ließ niemanden an sie heran.
Becky warf einen Blick über die Schulter zurück. Die beiden waren nicht mehr zu sehen, und sie rannte so schnell sie konnte nach Hause.
Skip war dabei, das große Doppelbett ans Fenster zu schieben, damit er jeden Morgen als Erstes die hohen Bäume sah, die sein Grundstück umstanden. Er hörte die Haustür zuschlagen und kurz darauf seine Tochter die Treppe hinaufkommen.
„Dad?“
Wie immer, wenn Becky ihn so nannte, konnte er sein Glück kaum fassen, dass seine Tochter ihn so schnell als Vater akzeptiert hatte. Wie hatte er damals sein ungeborenes Kind einfach so aufgeben können, nur weil sein Vater ihn dazu gedrängt hatte?
„Ich bin hier!“, antwortete er.
Mit geröteten Wangen stürzte Becky ins Zimmer. „Ich habe die Nachbarn von gegenüber getroffen – Mrs. Malloy und ihre Tochter Michaela.“
Verflixt. „Hey, sag das nächste Mal Bescheid, wenn du das Grundstück verlässt, okay?“
„Warum? Stimmt irgendetwas nicht mit ihnen?“ Unbehaglich sah sie zum Fenster.
„Nein. Aber wir wohnen hier ziemlich weit draußen, deshalb würde ich gern wissen, wo du steckst. Dann brauche ich mir nicht ständig Sorgen zu machen.“
„Jesse hat es nie gekümmert, wo ich hingehe.“
Jesse Farmer, ihr Adoptivvater.
„Ich bin aber nicht Jesse, Liebes.“ Skip machte einen Schritt auf sie zu und strich ihr die Ponyfransen aus dem Gesicht. „Sieh mal, ich bin ja noch nicht so lange Vater, also hab ein wenig Geduld mit mir, okay? Wenn ich manchmal zu besorgt bin, dann nur, weil du mir so viel bedeutest.“
Becky zuckte die Achseln, dann ging sie zu den offenen Kartons, die in einer Ecke standen. „Ich glaube sowieso nicht, dass wir Freunde werden.“
„Ach nein?“
„Mrs. Malloy ist nicht sehr nett.“
„Wie, nicht nett?“ Hatte sie seiner Tochter etwa die Tür vor der Nase zugeschlagen?
„Na ja, sie wirkt ziemlich zugeknöpft. Vielleicht, weil ihre Tochter stottert oder so.“
Er hatte davon gehört, dass Addie ein Kind hatte und geschieden war.
„Woher weißt du, dass sie stottert?“
„Sie hat vor dem Haus gespielt, und wir haben uns über ihre Barbies unterhalten, als ihre Mutter rauskam.“
„Oh.“
„Die Kleine ist wirklich nett. Und ziemlich schüchtern. Sie hat riesige braune Augen. Wahrscheinlich ist ihre Mutter so überbesorgt, weil sie wegen des Stotterns oft gehänselt wird. Hey, vielleicht können wir sie ja mal zum Essen einladen und …“
„Langsam, langsam.“ Skip hob die Hände. „Eins nach dem anderen. Wir müssen hier erst mal Ordnung schaffen.“
Und vor allem musste er vorher Kontakt zu Addie finden.
„Warum warten wir nicht noch ein paar Tage, bis wir alles eingeräumt haben? Du hast dir ja noch nicht mal dein neues Zimmer angesehen.“
Was ihm deutlich zeigte, wie wichtig Becky Nachbarn und Freunde waren. Die Leute in dem Trailerpark, in dem sie mit ihren Adoptiveltern gelebt hatte, waren wirklich kein guter Umgang für sie gewesen.
„Welches ist denn mein Zimmer?“, fragte sie.
„Vier sind noch frei, du kannst dir eins aussuchen.“
„Ehrlich?“
Zufrieden sah er zu, wie Becky alle vier Zimmer besichtigte, bis sie beim letzten rief: „Das hier! Kann ich das hier haben?“
„Klar. Dann bringe ich dir mal deine Kisten.“
Nacheinander brachte er die Umzugskartons mit ihrem Namen in ihr Zimmer und stellte die Möbel nach ihrer Anweisung auf. Als er fertig war, sagte er: „Na, dann mal los. Du kannst es einrichten, wie du magst. Sag Bescheid, wenn du noch etwas brauchst.“
Sie breitete die Arme aus und drückte ihn, was selten vorkam, und was er deshalb umso mehr genoss. „Danke, Dad!“
„Gern. Kommst du eine Weile allein zurecht? Ich werde mal rübergehen und mich Mrs. Malloy
Weitere Kostenlose Bücher