Wo mein Herz zu Hause ist
heranzukommen.
Als Addie mit ihrer Tochter aus dem Haus trat, das ihre Großeltern aus einfachen Brettern gebaut hatten, blieb sie kurz stehen und betrachtete die lange Einfahrt zu dem Neubau auf der anderen Straßenseite. Das große, zweistöckige Haus mit den grünen Fensterläden und dem Türmchen war in den letzten zwei Monaten entstanden und hinter den vielen Eichen, Espen und Nadelbäumen kaum zu sehen. Nur an manchen Stellen konnte man zwischen den Stämmen einen Blick auf die umlaufende Veranda werfen.
In der Stadt kursierten Gerüchte über den Besitzer: ein reicher Typ vom Festland, hieß es, der sich hier seinen Sommersitz errichtete.
Doch warum baute er dann nicht am Wasser, wo er gleich einen privaten Liegeplatz für seine Jacht dazubekam? Warum hatte er ein Grundstück mitten in der Wildnis gekauft, wo es außer einer holperigen Landstraße nur Bäume gab?
Zum Glück war das nicht Addies Problem. Es interessierte sie nicht, wer in das Haus einzog, solange sich die neuen Nachbarn um ihre eigenen Angelegenheiten kümmerten und endlich wieder Ruhe einkehrte. Vom nervtötenden Sägen und Hämmern der letzten Monate hatte sie wirklich genug.
In das fünf Kilometer von der Inselstadt Burnt Bend gelegene Haus ihrer Großeltern war sie Anfang des Jahres kurz nach der Scheidung gezogen. Sie brauchte mit ihrer Tochter schließlich ein Dach über dem Kopf, und hier wohnte sie wenigstens mietfrei.
Dempsey hatte sie verlassen, „um sich selbst zu finden“. Ihre Mutter Charmaine war fest davon überzeugt, dass er zu seiner Familie zurückkehren würde, doch für Addie stand fest, dass sie ihn dann hochkant rauswerfen würde.
„Er ist doch nur ein großer Junge, der seinen Weg noch finden muss“, pflegte Charmaine dann zu sagen, ungeachtet der Tatsache, dass der Mann zweiundvierzig war. Eine recht überraschende Aussage von einer Mutter, die ihrer Tochter vor dreizehn Jahren geraten hatte, „eine erwachsene Entscheidung zu treffen“, als sie noch vor dem Highschool-Abschluss schwanger wurde.
Womit Addie mit ihren Gedanken wieder bei Skip war – ihrer ersten großen Liebe und dem Vater ihrer Tochter.
Heute würde sie ihn wiedersehen, weil der alte Trainer des Highschool-Footballteams seinen Job nach über dreißig Jahren an seinen früheren Starspieler Skip Dalton übergab.
Und nicht nur heute. Als neuer Trainer würde Skip auf der Insel wohnen und ihr ständig über den Weg laufen. In der Schule, in der Post, im Café, im Laden seiner Mutter.
Ganz gleich, was Addie auch tat: Sie konnte ihm nicht entkommen.
Auf dem Schulgelände wimmelte es von Schülern und Ehemaligen, die alle gekommen waren, um Coach Henry McLane zu verabschieden. Einige waren sogar Tausende von Kilometern angereist, um das letzte Kapitel in der dreißigjährigen Trainergeschichte nicht zu verpassen.
Skip war ein Teil dieser Geschichte, auch wenn er das heute lieber verdrängt hätte. Damals hatte er auf dem Footballfeld gestanden und den Mädchen in den Zuschauerrängen zugewinkt. Jetzt stand er neben seinem früheren Trainer an der Tür und begrüßte Leute, die er dreizehn Jahre lang nicht gesehen hatte. Viele seiner früheren Mitschüler erkannte er sofort – jedenfalls die Männer – obwohl sie sich verändert hatten: Der eine hatte jetzt eine Glatze, der andere schon graue Haare.
Bei den Mädchen – jetzt den Frauen – sah das anders aus. Erst wenn sie ihren Namen nannten, konnte er eine Verbindung herstellen, und das war ihm etwas peinlich. Denn immerhin war er mit fast jeder der Frauen, die um ihn und den Trainer herumstanden, während der Schulzeit mindestens einmal ausgegangen.
Kein Wunder, dass viele ihn kühl und distanziert betrachteten. Sie hatten seine Überheblichkeit als Star-Quarterback der Fire Highschool nicht vergessen. Außerdem merkten sie natürlich sofort, dass er sie nicht mal wiedererkannte – ein sicheres Zeichen dafür, wie unwichtig sie ihm damals gewesen waren.
Doch viel schlimmer war, was er ihr angetan hatte.
Um das wiedergutzumachen, hätte er sogar seine neun Jahre als Footballspieler in der Profi-Liga hergegeben.
„Skip, erinnerst du dich an Cheryl Mosley?“ Der Coach stellte ihm eine hochgewachsene Rothaarige vor. „Sie hat Keith Bartley geheiratet und ist jetzt Fachbereichsleiterin für Naturwissenschaften. Du wirst dir mit ihr die Chemieklassen teilen.“
Skip nickte der Frau kurz zu. Zum Glück hatte er einen ordentlichen Abschluss gemacht, bevor er Football-Profi wurde.
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