Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)

unter meinen Schuhen. Ich stelle mir vor, es wäre Miss Protz.
    »Nein«, sage ich. »Du vielleicht?« Und ich freue mich, dass ihr die Röte ins Gesicht steigt wie ein Fleck roter South-Carolina-Staub auf ihrem sauberen weißen Pullunder.
    »Du hast echt ’ne Macke.« Mehr fällt ihr nicht ein und ich grinse, weil ich weiß, dass meine Macke sie ärgert. In meiner Macke liegt meine Kraft.
    Ich setze den rechten Fuß ganz, ganz langsam neben dem linken auf. Dann beginne ich mich zu wiegen – hopse nach links, hopse nach rechts. Mein Eins-hops-zwei-hops-Regentanz.
    Ich drehe und wiege mich auf dem Bürgersteig direkt vor Vickys Ballettschule. Und jeder kann es sehen, der in seinem nagelneuen Cadillac vorbeifährt. Ein paar ältere Highschool-Jungs kommen in einem verbeulten Ford-Pritschenwagen vorbei, die Haare nach hinten geklatscht und pomadeglänzend. Im Vorbeifahren pfeifen und johlen sie, aber es ist mir piepegal. Ich fliege, tanze frei unter dem klaren blauen Himmel. Ich springe hoch, als könnte mich nichts auf der Erde halten. Miss Protz starrt mich entgeistert an und sie wird ganz rot, weil es ihr peinlich ist, mit mir gesehen zu werden. Jetzt hab ich sie. Meine Arme fliegen in die Luft und ich jauchze laut. Und dann hab ich’s vermasselt.
    Meine Stimme hat den Zauber gebrochen und die anderen Mädchen fangen zu lachen an. Sie kreischen und gackern und weiden sich an meinem Patzer. Miss Protz zeigt mit ihrem knochigen Finger auf mich. Sie wiehert vor Lachen, prustet, bis sie zusammenklappt und hechelnd nach Luft schnappt.
    Jetzt bin ich es, die rot wird. Heiße, schmachvolle Flammen lecken mir übers Gesicht. Ich versuche weiterzutanzen, als wär’s mir egal. Ist mir doch egal . Wenn Miss Protz lacht, sieht sie aus wie ein hässlicher Affe, also wen kümmert’s, über wen sie lacht?
    Aber meine Füße verheddern sich. Mein linker Fuß bleibt am rechten hängen und ich lande auf dem Boden. Ein mickriger Haufen Arme und Ellbogen, Beine und aufgeschürfte Knie.
    »Du hast wohl zwei linke Füße, Plattfuß!«, ruft Sally.
    Und Beth kreischt: »Du meinst, zwei linke Plattfüße!«
    Dann wiehern sie wieder los, auch wenn es gar nicht lustig ist. Es ist nicht mal clever. Irgendwann richtet Miss Protz sich auf und rückt sich pingelig den Ballett-Dutt zurecht.
    »Und du willst tanzen können! Du bist die schlechteste Tänzerin, die ich je gesehen habe.« Sie schnaubt und streicht sich den Rock glatt. »Du weißt doch überhaupt nicht, wie es geht.«
    Die anderen Mädchen schnauben auch. Schleimen sich bei der neuen Bienenkönigin ein. Und dann, ohne ein weiteres Wort, strecken sie die Nase in die Luft und gehen in Vickys Ballettschule hinein, lassen mich allein hier draußen im Dreck sitzen.
    Ich will schreien und toben, aber ich kann nicht. Ich bin zu wütend, um zu sprechen. So wütend, dass ich Tränen in die Augen kriege. Ich beiße mir auf die Lippe, damit sie nicht rauskommen. Die da sollte hier draußen im Dreck sitzen, nicht ich.
    Ich spüre die Blicke der Leute auf dem Bürgersteig und die der Leute in den vorbeifahrenden Autos auch. Ich weiß genau, was sie sehen.

Cathryn Constable hat zunächst an der Cambridge University unterrichtet und war anschließend als Journalistin tätig, u.a. für Vogue , Elle und The Sunday Times . Sie lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Islington, London. »Wo Schneeflocken glitzern« ist ihr Debüt.