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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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einen Sekundenbruchteil lang den absoluten Zusammenhang zwischen allem, was war. Dieser Unort, dieser reglose Mittelpunkt, um den herum die zerbrechliche Schale des Lebendigen sich fügte, jetzt spürte sie es, jetzt erfüllte sie jeden Winkel des Raums. Von aller Hoffnung befreit, lächelnd, empfand sie sich als eine verlassene Arche.

Aus Eléazards Notizen.
    DAS GEWICHT DER SEELE . Euclides, eiskalt: »Heiße Luft, nichts als heiße Luft … Die in unseren Lungen enthaltene Luft hat auch ein Gewicht, denken Sie nur. Ihr Kircher hat seinen letzten Seufzer gewogen; das heißt wirklich, die Introspektion ein bisschen weit treiben, finden Sie nicht?«
     
    NOVALIS erstellte ein »raisonnirtes Verzeichniß der Heilmittel und Operationen, die der Mensch beständig in seiner Gewalt hat.« Er führt Speichel auf, Urin, Samenerguss, den Finger in den Hals stecken, um sich zu erbrechen, den Atem anhalten, die Haltung wechseln, die Augen schließen etc. Nebenbei fragt er sich, ob es keine Verwendung der Exkremente geben könne. Marcel Duchamp wird später manches hinzufügen, so übermäßigen Druck auf einen Elektroknopf, das Wachstum von Körper- und Haupthaaren sowie den Nägeln, Zusammenzucken vor Schreck oder Staunen, Lachen, Gähnen, Niesen, nervöse Ticks, harte Blicke, Ohnmächtigwerden, und auch er wird anregen, einen
Transformator
[zu bauen]
, um all diese vergeudeten kleinen Energien zu nutzen.
     
    SECHS GRAMM Seele …
     
    ICH WEISS NICHT , woher mir dieser Eindruck kommt, Athanasius Kircher gehöre nun zu meiner Familie. Er könnte ohne weiteres hier bei mir sitzen, die Mütze schief auf dem Kopf, seinen Beinen mit dem Priesterrock Luft zufächelnd. Ein gemütlicher Kerl, der dann und wann geniale Einfälle hat, aber meistens ziemlich banal ist. Ein Träumer, dem guten Leben zugeneigt, ein Bruder, ein Freund …
     
    FREITAG, 10 UHR FRÜH , Brief von Malbois.
    Mein lieber Eléazard,
     
    entschuldige, dass ich deine Fragen so spät beantworte. Das war keine ganz leichte Sache, die doch einige Arbeit mit sich gebracht hat. Ich fürchte allerdings, dass das Ergebnis Dir nicht gefallen wird …
    Zunächst habe ich die Dir zweifelhaft erscheinenden Passagen in den Werken von Mersenne, La Mothe Le Vayer und einigen anderen recherchiert, deren Titel du auswendig wusstest. Dein Misstrauen war begründet: Es gibt tatsächlich bestürzende Ähnlichkeiten, bisweilen sogar mehr, ohne dass man ganz klar sagen könnte, wer bei wem abgeschrieben hat; Du weißt ja auch, dass das zu jener Zeit allgemeine Praxis war, die keinerlei Folgen nach sich zog. Ich überspringe die Details der Nachforschungen; Du hättest nichts davon. Du wirst auch gleich verstehen, warum: Als ich zu der zweiten Frage auf Deiner Liste kam, der nach Caspar Schotts Lebensdaten, geriet das ganze Gebäude sofort ins Wanken: 1608 – 1666 ! (in mehreren verschiedenen Quellen verifiziert). Da der tugendreiche Caspar vierzehn Jahre vor
seinem Meister verschied, müssen schon einmal alle Teile der Biographie, die danach handeln, als nicht authentisch angesehen werden. Blieb dann noch die Möglichkeit, dass jemand anderes diese letzten Jahre in Kirchers Nähe verlebt und Schotts Arbeit geschickt genug weitergeführt hätte, um seinen »Stil« zu imitieren …
    Also prüfte ich manche Details nach, die mich schon bei der ersten Lektüre gekitzelt hatten. So wie sie bei Schott beschrieben wird, hat es die Villa Palagonia erst im 18 . Jahrhundert gegeben, zwischen 1750 und 1760 . Das Désert de Retz mag zwar notorisch von Kirchers Miniaturlandschaften inspiriert worden sein, aber es datiert erst von 1785 !
    An diesem Punkt meiner Untersuchung wurde klar, dass das Ganze erstens nicht von Caspar Schotts Hand stammen und zweitens frühestens 1780 verfasst sein konnte, also hundert Jahre nach Kirchers Tod …
    Du kannst dir vorstellen, dass diese Feststellung den gesamten Text in einem zweifelhaften Licht dastehen ließ. Also listete ich methodisch sämtliche mir suspekt erscheinenden Stellen auf. Es gibt da allerlei Kleinigkeiten (ich habe sogar eine Maxime von Chamfort identifiziert!), die fast alle nicht verifizierbar waren, und ich wollte dir schon einen Zwischenstand melden, da las ich das schaurige Gedicht von Friedrich v. Spee noch einmal. Selbst unter der Voraussetzung, dass es sich dabei um eine Übersetzung aus dem Lateinischen handelt – und dass die Poesie des 17 . Jahrhunderts nicht gerade meine Tasse Tee ist –, kamen mir diese Verse ganz

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