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Wo wir uns finden

Wo wir uns finden

Titel: Wo wir uns finden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Findeis
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Polizeisirenen in der Ferne, die La Brea Avenue war getaucht in das gelbe, alles weichzeichnende Licht der Straßenlaternen; ich stand am Fenster und betrachtete durch die Gitter hindurch die unablässig aufeinanderfolgenden Autos, die sich auf der vierspurigen Straße wie zahllose Reinkarnationen ein und desselben Traums auf einer hoffnungslosen Reise ohne Ankunft befanden. Die Luft, die durch das spaltbreit geöffnete Fenster drang, roch fremd wie im Urlaub. Die gespreizten Scheinwerfer der Flugzeuge im Landeanflug tauchten am Horizont auf und überflogen mich, wie an einer Schnur gezogen, das tonlose Geräusch ihrer Triebwerke erst hörbar, als sie hinter mir verschwunden waren. Die Maschinen, die Richtung Osten abhoben, waren nur sich entfernende, blinkende und blitzende Lichter im Himmel. Ich beobachtete den Pakistani hinter den vergitterten Fenstern des Schnapsladens. Er glotzte in einen winzigen Fernsehapparat, der in keinem Verhältnis stand zu der Größe der Satellitenschüssel, die auf dem Dach angebracht war und wahrscheinlich noch den letzten Regionalsender Punjabs empfing. Der Pakistani verkaufte die überdimensionierten Flaschen mit dünnem Bier an Schwarze und Latinos, nie fragte er nach einem Ausweis, immer war er freundlich. Vor dem Eingang stand ein alter Ford, dem die Sonne den Lack vom Dach und von der Kühlerhaube gebrannt hatte. Am Kofferraum klebte ein Aufkleber, der die Form von Pakistan hatte und in den Landesfarben gestaltet war. Ich fragte mich, ob der Pakistani wirklich so wenig verdiente mit dem Laden oder ob er diesen Wagen nur für den Weg zur Arbeit nutzte und die Chrysler-Limousine in der Garage seines umzäunten Hauses mit gestutztem Rasen in Orange County ließ, seine Frau fuhr die Kinder damit zu ihrer privaten High-School jeden Morgen.
    Maria war in die Stadt gekommen, um als Assistentin einer Maskenbildnerin bei einer Serie, die in New York spielte, aber in Los Angeles gedreht wurde, zu arbeiten. Die Produzentin, die sie in München bei der Bavaria kennengelernt hatte, hatte ihr den Job angeboten, als sie gehört hatte, dass Maria einen amerikanischen Pass besaß. Sie hatte sofort zugesagt und war zwei Wochen später abgereist.
    Als sie mich vom Flughafen in Los Angeles abgeholt hatte in ihrem alten Toyota, hatte sie mir die versteckten Wegweiser gezeigt, die die verschiedenen Filmteams durch die Stadt lotsen. An Lichtmasten und Straßenschildern angebrachte Papierpfeile, beschrieben mit Hieroglyphen. Maria war überzeugt, aufsteigen zu können bei der Produktion. Am Anfang glaubte ich ihr, sprach sie von ihrer Zukunft, ich sah das Haus in Venice Beach oder Santa Monica vor mir, das wir uns würden leisten können, die zwei Autos in der Auffahrt, gefüllte Einkaufstüten von Whole Foods in der Küche.
    In drei Monaten bin ich ein illegaler Einwanderer, hatte ich gesagt auf der Fahrt vom Flughafen zu ihrem Motel in Westlake. Sie hatte aus dem Fenster des Wagens auf eine Gruppe Latinos gezeigt, die an einer Bushaltestelle warteten: Das sind die alle auch.
    Sie hatte gelacht: Wir fahren nach Vegas, heiraten, machen das Baby, und in einem Jahr bekommst du die Greencard.
    Und wenn ich zurückmuss vorher? hatte ich gefragt.
    Das geht nicht, hatte sie gesagt: warum solltest du auch?
    Ich hatte geschwiegen und sie gesagt: Wie würdest du denn die ganzen Schulden bezahlen wollen?
    Wir waren auf den Parkplatz des Motels gefahren, wo wir zusammen wohnen sollten in dem einen Zimmer mit King-Size-Bett, Kühlschrank und Mikrowelle, bis wir etwas zur Miete gefunden hatten. In der Mitte des Parkplatzes lag ein Swimmingpool mit Rutsche und Sprungbrett, ein drei Meter hoher Zaun umgab ihn.
    Den Schlüssel dafür könne man im Büro holen, hatte Maria gesagt. Ich hatte genickt und den Käfig betrachtet, das türkisfarbene Wasser hinter den Gitterstäben.
    Maria kam erst spät in der Nacht zurück. Ich hatte den Rest meines ersten Abends in unserer neuen Wohnung den Pakistani beobachtet – der seinen Laden um elf Uhr geschlossen hatte –, das Bier getrunken und die Erdnüsse gegessen und auf sie gewartet. Sie roch nach Puder und nach Haarspray und irgendetwas, das ich kannte, aber nicht einordnen konnte. Sie zog sich ihr Oberteil aus im Gegenlicht des vergitterten Fensters; die Lichtkegel eines vorbeifahrenden Wagens leuchteten ihren Umriss für Sekunden aus dem Schwarz, dass sie einen Körper bekam; ihre Haut glänzte feucht, und erst jetzt bemerkte ich, dass es regnete und der Geruch, den ich

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