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Wo wir uns finden

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Titel: Wo wir uns finden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Findeis
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Gartenstühle, die auf der Terrasse standen, hauchte an die Scheibe der Glastür und malte Pentagramme oder Schimpfworte hinein. Immer pisste er in den Sandkasten, bevor er nach Hause ging.
    Dix ist ausgezogen, sagte Grams und hob die Schultern. Zum ersten Mal seit einer Woche sahen sie sich wieder. Am Rathausplatz saßen sie, Grams hatte ein paar Büchsen Bier gekauft, für jeden zwei Wecken mit Gelbwurst, die trocken waren und süßlich schmeckten.
    Wie, ausgezogen? fragte Karl.
    Ausgezogen halt, sagte Grams: zu seiner Mutter zurück anscheinend.
    Warum das? fragte Karl.
    Will sie mir nicht sagen, sagte Grams.
    Ist doch gut für dich, sagte Karl.
    Was will ich mit seinem Bastard? sagte Grams.
    Wohnt sie dann wieder bei euch? fragte Karl.
    Will sie nicht, sagte Grams: sie will auch nicht, dass ich bei ihr bleibe.
    Das Bier war warm und schäumte. Karl hielt die Lippen an die Öffnung der Dose. Wie sie zu dritt das Kind versorgten, stellte er sich vor, wie sie es zu dritt miteinander trieben, wie sie mit dem BMW von Grams’ Mutter davonfuhren, stellte er sich vor.
    Vielleicht hat es was mit dir zu tun, sagte Karl.
    Was soll es denn mit mir zu tun haben? sagte Grams.
    Karl hob die Schultern, trank seine Büchse aus und zerdrückte sie.
    Sein schneller Atem beschlug das Fensterglas, der Fleck nahm ihm die Sicht nach drinnen, und kurz dachte er, wenn jetzt Anna auf der anderen Seite stünde, sähe nur sie mich, ich sie nicht, und spritzte gegen die Terrassentür, an die er seine Stirn gedrückt hielt. Er ließ seinen tropfenden Schwanz aus der Hose hängen und stützte sich mit den Händen links und rechts am hölzernen Türrahmen ab und betrachtete die schwache Spiegelung seines Gesichts in der Scheibe. Er lächelte, als er sich vorstellte, wie er die Terrassentür aufdrückte und sich im Wohnzimmer auf das Sofa legte, wie warm und gemütlich der Platz war, die Ruhe im Raum, wie er zur Decke über sich starrte, wie Anna zur Decke über sich starrte in ihrem Bett im Schlafzimmer, das an der gleichen Stelle eine Etage darüber stand – nach ein paar Zügen war ihr Atem synchron, er könnte aufstehen und nach oben gehen, sie würde ihn nicht hören –, er wäre vielleicht ein anderer, wie ein Geist, dem man nicht entkommt. Er knöpfte seine Lederhose zu und ging.
    In seinem Keller schaltete er den Heizlüfter an und legte sich nackt ins Bett und rauchte eine Zigarette, stellte sich dabei vor, wie er im Schlafzimmer von Anna stand und sie ihn beobachtete, ihre Augen helle Flecken in der Dunkelheit.
    Karl blieb liegen, als sein Wecker am Morgen klingelte. Die ganze Nacht hatte er den Heizlüfter laufen lassen, war nackt und schwitzend im Bett gelegen und eingeschlafen, bevor der Tag dämmerte.
    Hast du keine Schule? fragte seine Mutter, als er nach oben ging, um sich zu waschen.
    Lehrerkonferenz, sagte er.
    Die Morawetz meint, sagte seine Mutter: dass der Frank kein guter Einfluss ist für dich.
    Sind meine Noten schlechter geworden? fragte Karl.
    Nicht wirklich, sagte seine Mutter.
    Also, sagte Karl, nahm sich eine Zigarette aus der Schachtel auf dem Küchentisch und brannte sie an. Seine Mutter trocknete sich die Hände, griff sich eine Zigarette, und Karl gab ihr Feuer.
    Das kannst du schon ganz gut, das Rauchen, sagte sie.
    Gelernt ist halt gelernt, sagte er, und sie lächelte.
    Wie geht’s dem Frank? fragte sie.
    Gut, sagte er und hob die Schultern.
    Ihr seht euch nicht mehr so oft, sagte sie: hat er eine Freundin?
    Er hob wieder die Schultern und drückte seine Zigarette aus.
    Die Sonne schien, als er durch Gefrieß ging und zum Rathausplatz. Auch die letzten Klumpen Schnee waren mittlerweile weggetaut, Krokusse sah er in einem Vorgarten, Osterglocken. Er setzte sich auf die Bank und fühlte nach seinem Geld in der Hosentasche. Hundertfünfunddreißig Mark waren es: Weit kommen wir damit nicht, dachte er wieder, wie er die halbe Nacht gedacht hatte, als er noch sicher gewesen war, dass sie weggehen konnten. Jetzt betrachtete er das Rathaus, die Hauptstraße, die stillgelegt und zur Fußgängerzone umgestaltet werden sollte, sobald die Umgehungsstraße fertig war, die Häuser in der Ruhe des Vormittags – das war alles, was er nicht mehr wollte. Grams hatte ihm erzählt von der Stille in der Wüste von Nevada, der Gleichförmigkeit bis zum Horizont und weiter, und von der Ahnung der Größe der Erde, die man in der scheinbar unendlichen Weite bekommt. Er betrachtete die kleinen Fenster der geduckten Häuser, die

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