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Wo wir uns finden

Wo wir uns finden

Titel: Wo wir uns finden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Findeis
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schwarz wurde, dann steckte sie das Telefon ein. Ich wusste, sie würde während des Fluges alle paar Minuten dieses Foto betrachten, das nur Blau war, und leise seufzen.
    Soll ich nachfragen wegen deinem Vater? fragte sie, während sie ihren Koffer schloss.
    Ich schüttelte den Kopf.
    Ich kann ja anrufen und mich als irgendwer ausgeben, sagte sie: willst du ihm gar nichts sagen?
    Ich schüttelte den Kopf.
    Am Abend bewölkte sich der Himmel. Der Regen fiel erst spät in der Nacht. Seit ein paar Stunden saß ich in dem Hotel auf dem Bett, schaute fern – der Ton kaum hörbar –, achtete auf alle Geräusche aus dem Flur oder den Zimmern neben, unter und über mir. Ich wunderte mich über den Geruch nach Zigaretten aus dem Badezimmer. Ich blieb still.
    Ich hatte Maria am Nachmittag zum Flughafen gebracht, danach ihren Wagen vor unserem Apartment abgestellt, meinen Koffer gepackt und ein Taxi gerufen. Auf der Fahrt ins Hotel hatte ich den Zettel betrachtet, mit Datum und Uhrzeit ihrer Ankunft in zwei Wochen, und den Termin auswendig gelernt.
    Ich hoffte auf Erlösung, während die Tage vergingen und mir nicht einmal auffiel, dass ich mit niemandem sprach. Der Portier begann irgendwann, mich persönlich zu begrüßen, betrat ich das Hotel: Mister Dix, Sir! sagte er mit einem Grinsen, ohne aufzublicken von dem Heft mit den Tabellen und Diagrammen und Statistiken für Sportwetten, das vor ihm auf dem Pult lag. Manche der Veteranen nickten mir zu, die meisten sahen weiterhin durch mich und alles und jeden hindurch. Ich antwortete auf Marias E-Mails, schrieb ihr, wie ich im Ladera Park laufen ging jeden Morgen, was ich mir zu essen kochte, worüber ich mit dem Pakistani aus dem Schnapsladen sprach. Sie freute sich auf ihre Rückkehr, dass ihre Mutter wieder nach Amerika ziehen wolle, wenn das Kind da sei, schrieb sie, dann hätten wir einen Babysitter.
    Mein Vater begann mir in meinen Träumen aufzulauern, ich musste nicht an ihn denken. Wie der unbegreifliche Gott der Kindheit war er nicht zu vergessen, er erschuf sich selbst aus meinen Ängsten und regierte absolut und herzlos und ungnädig – und ließ mich ahnen, dass nicht er mich verfolgte, sondern ich ihn.
    Am Tag von Marias Rückkehr saß ich lange in der kühlen, holzvertäfelten Wartehalle der Union Station, bevor ich zur Haltestelle des Shuttle-Busses zum Flughafen ging, in den außer Rucksacktouristen nur Asiaten und Mexikaner einstiegen, viele in Uniformen der Reinigungskräfte und Servicemitarbeiter, auf deren Rücken groß die Buchstaben LAX gedruckt waren. Ich beobachtete den Fahrer, der am Kühlergrill seines Busses lehnte und rauchte und lächelte; als er sah, dass ich ihn betrachtete, seine Zigarette austrat und sich hinter das Steuer setzte. Die Sonne spiegelte sich stumpf in den getönten Fenstern, als der Bus aus der Haltebucht bog. Ich blickte ihm hinterher, wie er sich in den Verkehr der Alameda Street einfädelte und verschwand. Auf dem Rückweg zum Hotel stellte ich mir vor, wie ich in der Wartehalle des Flughafens stehen würde, bis auch der letzte Passagier des Fluges DL 107 aus der Sicherheitsschleuse gekommen wäre. Nur Maria nicht. Ein Sicherheitsbeamter würde mich anlächeln und die Schultern heben und sagen: Don’t you take it too bad, son.
    Aber in Wirklichkeit stand Maria fluchend in der Wartehalle: Mensch, Siggi! sagte sie und ging quer durch die Halle und zu den Münzsprechern und wählte meine Nummer. Mein Mobiltelefon, das auf dem Tisch in unserem Apartment neben meiner Nachricht an Maria lag, wurde durch die Vibration über die Platte getrieben und spielte Freude schöner Götterfunken . Sie stieg aus dem Taxi, sah ihren Wagen an der Straße vor dem Haus stehen, betrat die ungelüftete Wohnung, die bedeckt war von der unsichtbaren Staubschicht unserer zweiwöchigen Abwesenheit, und sie dachte nur daran, gleich 911 anzurufen, mich zu finden im Schlafzimmer, im Wohnzimmer, erschlagen, erschossen, ausgeraubt. Sie müsste sich keine Sorgen um mich machen, sie würde meine Nachricht lesen und verstehen. Ich hoffte vergebens, dass alles ihre Schuld gewesen war, weil sie gar nicht im Flug DL 107 gesessen hatte, der von der Anzeigetafel im Terminal verschwinden würde, als begänne er erst morgen wieder im Landeanflug zu existieren.
    Die Straßen meines Heimwegs waren in warmem Gelb ausgeleuchtet, eine kriechende, schattenlose Dämmerung, die den Menschen noch Momente zu schenken versuchte für ihre Jagd nach einem Schlupfwinkel, wo sie

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