Wodka und Brot (German Edition)
roch ich, dass sie Alkohol getrunken hatte, aber nie ertappte ich sie dabei, dass Einnahmen verschwanden oder geklaut wurden, bis sie eines Morgens ein Wasserglas mit einem kleinen Goldfisch anbrachte.
»Was hast du genommen?«, fragte ich.
»Zehn Schekel für den Autobus. Mir war das Geld ausgegangen.«
»Und mir geht die Geduld für deine Diebstähle aus.« Ich war wütend und nahm den Fisch nicht. Das Glas blieb neben der Kasse stehen, der Fisch schwamm darin herum, erschrocken und einsam, bis er seine Seele aushauchte.
»Der Ärmste, sein Leben war keine zehn Schekel wert«, sagte Madonna und entsorgte seine kleine Leiche, dann holte sie aus ihrer Gürteltasche zehn Schekel und legte sie in die Kasse.
Amjad verbrachte seine Essenspausen an unseren Caféhaustischchen. »Ich habe dir ja gesagt, dieses junge Mädchen ist super, sie hat aus deinem Laden ein Einkaufszentrum gemacht.« Er trug das rote Hemd des Supermarkts und roch nach Basilikum und Petersilie.
»Wie geht es mit dem Gemüse?«, fragte Madonna.
»So lala.« Er packte den Rest seines Baguettes ein und stand auf, um zurückzugehen. »Anfangs war es ganz in Ordnung, aber dann … Ehrlich gesagt, hier hat es mir besser gefallen.«
Das reichte mir, um ihn aufzufordern, zurückzukommen, dem Laden ging es besser, wir konnten zwei zusätzliche Hände brauchen, und ich konnte ihn auch bezahlen.
Madonna hörte es, ahnte mit ihren scharfen Sinnen, wie eng es dann hinter der Theke würde, und beeilte sich, die Aufgaben zu definieren. »Ich werde Außenministerin, er Innenminister und du Ministerpräsidentin.«
Amjad betrat den Laden, wie man in einen alten, vertrauten Hausschuh schlüpft, die Bedingungen, die ich ihm angeboten hatte, waren besser als im Supermarkt und schlossen zusätzlichen Proviant an Milchprodukten, Brot und Eiern für seine Familie ein. Er gewöhnte sich schnell an die Neuerungen, die während seiner Abwesenheit eingeführt worden waren, und an Madonnas spritziges Tempo. Ihr gelang es, die Beziehung zu den bestehenden Kunden zu pflegen und neue zu gewinnen, sie vergrößerte unseren Kundenkreis, und Amjad kümmerte sich um die Vorräte, um die Bestellungen, um die Organisation der Lebensmittel und um die Ablaufdaten und die Haltbarkeit der Produkte. Sie ergänzten sich gegenseitig, sie konkurrierten miteinander, und einer bewachte des anderen Schritte, und die bescheidene Schreckensbilanz zwischen ihnen nützte dem Laden und der Ordnung meines Alltags. Von da an konnte ich jederzeit kommen oder gehen, ich hatte Zeit, den Kopf über mein kleines Leben zu erheben und das große Leben zu betrachten, ich konnte Jonathan und Tamar besuchen, deren Entbindung näher rückte, ich könnte auch in ein Fitnessstudio gehen, ich könnte zu meinen Aufgaben in der Bank zurückkehren und den Laden aus der Ferne beaufsichtigen, ich könnte Flamenco oder Yoga lernen oder geführte Fantasiereisen unternehmen, ich könnte das, ich könnte jenes … Die Zeitungen waren voll mit Vorschlägen,wie man sich die Zeit vertreiben konnte, als sei es das Ziel der Zeit, zu vergehen. Aber ich wollte nicht, dass sie verging, im Gegenteil, ich hätte mehr Zeit gebraucht, ich hatte genug Aufträge zu erledigen, ich musste auf den Grabstein des toten Jungen aufpassen, seinen Großvater besuchen und ihm von meinem Besuch bei seinem toten Enkel und seinem lebenden Sohn berichten, und vor allem musste ich mich um die Wunde kümmern, die innerhalb meiner kleinen Familie entstanden war, ich musste sie desinfizieren und dafür sorgen, dass sie heilte. Und wenn ich mich um diese schweren Angelegenheiten gekümmert hatte, musste ich die Zeit, die Madonna und Amjad mir ermöglichten, dazu nutzen, mich der Qualität meiner Beziehung zum Himmel zu widmen. Bald fingen die Anmeldungen zu den Schulen an, und ich musste entscheiden, ob Gott an der Spitze der pädagogischen Hierarchie meines Sohnes stehen sollte oder ein Beamter des Erziehungsministeriums. Eine erschreckende Vorstellung, dass für das Ausmaß, das Gott im Leben eines Kindes spielen sollte, in hohem Maß seine Eltern verantwortlich sind, in unserem Fall seine Mutter.
Jonathan, mein Bruder, sagte: »Gib ihm eine religiöse Erziehung, damit er später wählen kann. Wenn er älter wird, kann er entscheiden, ob er dabei bleibt oder nicht.«
»So etwas gibt es nicht, Jonathan. Gott geht einem in die Knochen wie Kalzium, hast du ihn einmal verinnerlicht, dann war’s das, er ist in deinem Knochenmark, und du wirst ihn
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