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Woerter durchfluten die Zeit

Woerter durchfluten die Zeit

Titel: Woerter durchfluten die Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marah Woolf
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ihr schleierhaft, wie es Marie gelang, dieses Frettchen so detailgetreu nachzuahmen.
    Mr. Barnes bemerkte offenbar, dass ihre Aufmerksamkeit nicht ihm galt, und fuhr herum. Dabei verlor er den Halt und wäre sicherlich zu Boden gestürzt, hätte Lucy ihn nicht geistesgegenwärtig festgehalten.
    Um ihn von Marie abzulenken, zog sie ihn zu sich herum und plapperte drauflos: »Mr. Barnes, ich verstehe Sie und ich verspreche Ihnen hoch und heilig, dass es das letzte Mal ist, dass ich zu spät komme. Aber sehen Sie«, Lucy versuchte einen Augenaufschlag, der gründlich misslang und lediglich dazu führte, dass Mr. Barnes seine buschigen Augenbrauen zusammenzog, »ich musste letzte Nacht dieses Referat vorbereiten, über Perikles. Ich habe Ihnen letzte Woche davon erzählt. Ich habe die halbe Nacht daran gearbeitet und ich glaube, es ist wirklich gut geworden. Leider bin ich deshalb viel zu spät ins Bett gegangen und dann habe ich zu allem Überfluss vergessen, meinen Wecker zu stellen. Ich war einfach todmüde.«
    »Ja, ja. Um eine Ausrede sind Sie nie verlegen. Das war Ihre letzte Verwarnung. Damit das klar ist«, knurrte Mr. Barnes. Dann drehte er sich um und lief vor sich hin grummelnd zurück zu seinem Büro. Lucy atmete tief aus und ging zu Marie, die sich hinter dem Empfangstresen so unsichtbar wie möglich machte.
    »Du hast mich gerettet«, stöhnte ihre Freundin, als Lucy neben ihr auftauchte und ihr einen Kuss auf die Wange gab.
    »Diesmal war es echt knapp«, bestätigte Lucy. »Du solltest deine schauspielerischen Talente irgendwo anders ausleben.« Marie sah sie zerknirscht an. »Ich weiß«, sagte sie. »Aber ich kann einfach nicht anders. Er reizt mich immer wieder.« Die Mädchen kicherten.
    »Weshalb bist du wirklich zu spät?«, fragte Marie.
    »Das Übliche. Mir fehlt das Pünktlichkeitsgen. Keine Ahnung, wie andere Leute das schaffen. Ich stehe rechtzeitig auf, und trotzdem scheint meine Zeit schneller zu vergehen als zum Beispiel deine. Egal was ich anstelle – ich komme zu spät.«
    Marie verschränkte ihre Arme und sah Lucy herausfordernd an. »Du hast in der U-Bahn gelesen.«
    Lucy schüttelte den Kopf.
    »Du hast die richtige Haltestelle verpasst«, setzte Marie dazu. Wieder schüttelte Lucy den Kopf.
    »Zeig deine Tasche«, forderte Marie und winkte mit der rechten Hand. Lucy sah sie schuldbewusst an.
    »Ich habe also recht«, triumphierte Marie. »Wie oft habe ich dir gesagt: Lass die Bücher zu Hause. Beinahe jeden Morgen verpasst du deine Station. Und dann kommst du an wie ein abgehetztes Kaninchen. Schau dir bloß deine Haare an.« Marie angelte eine Haarbürste aus einem Schubfach ihres Schreibtisches. »Bring das in Ordnung.«
    »Sieht doch sowieso keiner.«
    »Klar«, widersprach Marie. »Deine geliebten Bücher.«
    »Wenn du zu Hause und nicht immer bei Chris schlafen würdest, dann wäre ich auch pünktlich«, protestierte Lucy noch, während Marie sie in Richtung Toilette schob.
    »Das könnte dir und Jules so passen«, erwiderte Marie. »Chris und ich sind in seiner Wohnung besser aufgehoben. Da können wir machen, was wir wollen.« Sie grinste Lucy an, die daraufhin die Augen verdrehte.
     
    Eine halbe Stunde später, Lucy war gerade dabei, im Lesesaal Bücher einzusortieren, kam Marie hereingeschlichen.
    »Du sollst zu Mr. Barnes kommen. Sofort«, flüsterte sie.
    Lucy sah sie erschrocken an. »Hat er gesagt, was er will?«
    Marie zuckte mit den Schultern. »Mir hat der Drache nichts verraten.«
    Drache nannten die Angestellten der Bibliothek die Vorzimmerdame von Mr. Barnes, die passenderweise den Namen Drake trug. Er hatte sie mitgebracht, als er vor sechs Wochen seinen neuen Posten angetreten hatte. Sie war, wenn das möglich war, noch unbeliebter als Mr. Barnes selbst.
    Eingeschüchtert lief Lucy durch die Flure zum Verwaltungsbereich der Bibliothek. Dass Mr. Barnes sie zu sich beorderte, war bisher noch nie vorgekommen. Sie hoffte inständig, dass er sie nicht entlassen würde. Außer dass sie zu oft zu spät kam, hatte sie sich bisher nichts zuschulden kommen lassen. Und schließlich blieb sie abends zum Ausgleich oft länger, als sie eigentlich musste.
    Vor einer der alten hohen Holztüren, die den Flur säumten, blieb sie stehen und klopfte. Lucy konnte nicht hören, ob sie zum Eintreten aufgefordert worden war, also drückte sie die Türklinke hinunter. Vorsichtig warf sie einen Blick in den Raum, der sich als Empfangszimmer entpuppte.
    Ms. Drake saß hinter einem

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