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Woerter durchfluten die Zeit

Woerter durchfluten die Zeit

Titel: Woerter durchfluten die Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marah Woolf
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von Oscar Wilde.
    Sie schlug es auf und das Buch flüsterte ihr seine ersten Worte direkt in den Kopf. »Jeden Nachmittag, wenn die Kinder aus der Schule kamen, gingen sie in den Garten des Riesen, um darin zu spielen. Es war ein großer, lieblicher Garten mit weichem, grünem Gras.«
    Lucy erinnerte sich heute noch daran, als wäre es gestern gewesen. Sie brauchte die Worte nur wiederholen. Seit diesem Tag konnte sie lesen. Das Flüstern hatte sie nur in ihrem Kopf wahrgenommen. Gewundert hatte sie sich nicht darüber. Sie hatte gedacht, dass man so lesen lernte. Erst, als sie in die Schule kam, begriff sie, dass dies ganz und gar nicht der normale Weg war.
    Madame Moulin konnte sich nicht erklären, weshalb ihr Schützling plötzlich lesen konnte. Aber sie begriff schnell, dass die Bücher im Heim nicht ausreichten, um Lucys Hunger nach Worten zu stillen. Darum ging sie mit ihr in die Bibliothek des Dorfes.
    An das Flüstern in ihrem Kopf, das Lucy von da an begleitete, wenn sie ein Buch aufschlug, hatte sie sich längst gewöhnt. Es war wie das Rauschen des Meeres, das immer da ist und das man doch nicht mehr hört.
    Dieses Wispern hier war ähnlich und doch anders. Die Bücher sprachen nicht mit ihr. Es schien, als unterhielten sie sich miteinander. Es klang aufgeregt. Ob Miss Olive das auch hörte?
    Lucy spürte einen pochenden Schmerz an ihrem Handgelenk. Sie schob den Ärmel ihres Pullovers zurück.
    Ein Mal wurde sichtbar. Sie betrachtete das kleine weiße Buch, dass jemand in ihre Haut tätowiert hatte, bevor sie in das Heim gekommen war. Auch bei ihrem ersten Besuch in der Dorfbibliothek hatte dieses Zeichen sanft gepocht. Mit fünf war es ihr vorgekommen, als würden die Bücher es begrüßen. Sie hatte Madame Moulin davon erzählt, doch die hatte ihr lediglich Creme auf das Mal geschmiert. Bis heute hatte sie nicht mehr an diesen Vorfall gedacht.
    Nun allerdings brachte es sich mit Nachdruck in Erinnerung. Es pochte stärker als je zuvor und das Wispern wurde immer lauter. Lucy versuchte, etwas zu verstehen. Vergeblich. Und trotzdem schien das Flüstern ihr zu gelten. Zögernd setzte sie einen Fuß vor den anderen. Das Raunen zog sie weiter, tiefer hinein in die dunklen Gänge. Lucy folgte ihm. Angst verspürte sie nicht. Sie wusste, dass die Bücher ihr etwas zeigen wollten.
    Als das Mal zu brennen begann, zuckte sie zusammen. Das hatte es bisher nie getan. Sie rieb vorsichtig darüber, doch das half nicht. Sie blieb stehen und leuchtete mit der Taschenlampe auf ihr Handgelenk. Ihre Augen weiteten sich ungläubig. Das Mal verfärbte sich. Die feinen Schattierungen ließen es normalerweise aussehen wie ein altes gebundenes Buch. Nur eben schneeweiß und ohne Titel. Die Tätowierung war die Arbeit eines Meisters, das war ihr im Laufe der Jahre klar geworden. Nun verfärbten sich die zarten Striche leuchtend rot. Das ist unmöglich, dachte Lucy. Sie sah sich um. Wo war sie? Das Wispern war verstummt. Spukte es womöglich doch hier unten?
    Das Buch auf ihrem Arm hämmerte. »Autsch«, entfuhr es ihr. Sie presste die linke Hand darauf, wobei ihr die Taschenlampe fast entglitt. Das war nicht normal. Hatte es sich entzündet?
    Die Stille, die sich um sie herum ausbreitete, war unheimlich. Sie betrachtete die wunderschön verzierten Kartons. Ihr Blick richtete sich wie von selbst auf eine dunkelblaue Kiste, deren Seiten mit roten Ranken verziert waren. Die Kanten waren mit metallenen Ecken verstärkt und an der Vorderseite war ein Schild angebracht. » Alfred Tennyson, Gesammelte Werke, Erstausgaben «, entzifferte sie die fast verblichene Schrift. Lucy fand es merkwürdig, dass so ein Werk hier hinten verstaubte. Ihr Mal pulsierte auffordernd. Das Flüstern begann erneut. Von allen Seiten forderten die anderen Bücher Lucy auf, den Karton zu öffnen. Nur das Buch, das vor ihr lag, blieb still. Beherzt griff Lucy zu und zog die Kiste aus dem Regal. Sie war schwerer, als sie vermutet hatte. Vorsichtig stellte sie sie auf den Boden und ging auf die Knie. Kälte kroch in ihre Beine. Behutsam öffnete sie den Deckel. Das Buch, das vor ihr lag, verschlug ihr den Atem. Der Einband war wunderschön. Wieder fragte sie sich, weshalb dieser Schatz hier hinten aufbewahrt wurde. Sie liebte Tennysons Gedichte. Lady of Shalott konnte sie auswendig.
    Sie nahm das Buch heraus und schlug es auf. Ihre Hände zitterten vor Aufregung. Nur mit Mühe hielt sie das unhandliche Buch fest. Nicht auszudenken, wenn es auf den Boden

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