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Wofür es sich zu leben lohnt

Wofür es sich zu leben lohnt

Titel: Wofür es sich zu leben lohnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pfaller
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kurzem daran erinnert, dass es paradoxerweise zugleich auch einen Boom von Amateurpornographie à la
youporn
, programmatischen Interesses an schmutziger Sexualität und politischer Unkorrektheit wie etwa im Magazin
Vice
, des Gebrauchs von Porno-Outfits durch Popstars wie Britney oder Rihanna etc. gibt (Hanske 2009 ). Wie hängt nun das eine mit dem anderen zusammen? Wieso ist die erotische Austrocknung der Kultur begleitet durch das massive Auftauchen von grellem, pornographischem Pop? – Vielleicht könnte man sagen: Je mehr die Gesellschaft als ganze ihre kulturellen Bezüge zur Sexualität verliert, desto drastischer sind die Bilder davon, die auf ihren Bühnen erscheinen. Und zwar mit einer doppelten Funktion: sowohl um der verbliebenen Sehsucht Nahrung zu geben, als auch um von der Sache abzuschrecken und über ihren Verlust zu trösten. Es verhält sich wie bei der aktuell beobachtbaren Entwicklung von verlorengehendem Genuss zu verstärkt wahrgenommener Sucht: Wenn es keine Normalvorbilder des Genusses mehr gibt, dann treten nur noch deren Zerrbilder in Erscheinung. Das Zerrbild des Genusses ist der Süchtige; das Zerrbild der Sexualität ist der Popstar – oder der Talkshowgast.
    1 . Fiktionskino und Reality-Fernsehen: Sex als Muster und als Marotte
    Wenn man zum Beispiel den Spielfilm mit aktuellen Fernsehformaten vergleicht, so lässt sich sehen, dass hier eine gegenläufige Entwicklung stattgefunden hat: Je weniger Sex es im Film gibt, desto mehr dafür in der Talkshow (sowie in den Reality-Formaten). Der Spielfilm von heute kann keine frivole Heiterkeit mehr entwickeln, keine knisternden Spannungen in den Geschlechterverhältnissen aufbauen, keine komplexeren erotischen Verwicklungen thematisieren, wie es Filme der 60 er und 70 er Jahre vermochten. Dagegen ist die Sex-Präsenz in der Talkshow nun massiv.
    Das Verhältnis dieser beiden Phänomene ist allerdings komplex: Das eine Medium hat keineswegs bloß die Aufgaben des anderen übernommen. Vielmehr bekommt der gezeigte Sex im (Privat-)Fernsehen eine ganz andere Funktion, als er früher im Film hatte – entsprechend der unterschiedlichen Natur der Medien. Der Spielfilm proklamiert mit seiner Darstellung von Erotik immer einen gesellschaftlichen Standard – er enthält, wie das ästhetische Urteil im Sinne Kants, eine Forderung nach allgemeiner Übereinstimmung. Er mag dabei mitunter zu weit gehen, und oft werden viele ihm nicht folgen wollen. Aber immerhin macht er bestimmte Verhaltensformen gesellschaftlich diskutierbar und legt zitierbare Muster für sie vor, auf die man im eigenen Verhalten anspielen oder sich berufen kann.
    Die Talkshow hingegen präsentiert sämtliche ihrer Themen als ausgefallene Privatmarotten. Sie ist die Konsequenz eines postmodernen öffentlichen Raumes, der durch die neue allgemeine Regel »Wenn Sie das schon unbedingt tun müssen, dann machen Sie es bitte zu Hause!« (wie sie z.B. in Bezug auf das Rauchen geäußert wird) vollkommen entleert und verödet ist. Wenn die Leute also alles irgendwie Anstößige oder dafür Infragekommende nur noch zu Hause machen, dann ist freilich eine bestimmte Öffentlichkeit neugierig, zu erfahren, was denn da nun überall zu Hause so getan wird. Wie immer in solchen Situationen, finden sich prompt Individuen, die bereit sind, Derartiges willig bekanntzumachen. In diesem Setting aber bleibt das Dargebotene nun – trotz Veröffentlichung – die Privatmarotte, als die es präsentiert wird. Mag das
Outing
der Protagonisten auch von der Hoffnung getragen sein, für die eigene Passion in der Öffentlichkeit Verständnis und Sympathie zu finden, d.h. wenigstens ansatzweise einen gesellschaftlichen Standard zu prägen (und dadurch das zu erzielen, was Sigmund Freud eine »Schiefheilung« genannt hat), so passiert doch hier notwendig immer das Entgegengesetzte: Die Öffentlichkeit guckt interessiert hin, aber mit dem Interesse, sich in der Folge am mitteilungsbedürftigen, vermeintlich »primitiven« Individuum abzuputzen und mit dem Finger auf es zu zeigen. Wenn es Sympathie gibt, dann allenfalls für den Unterhaltungswert der Marotte, ihre Ausgefallenheit; sowie für die Tatsache, dass der andere die Verantwortung dafür übernommen hat und man sich selbst nun entlastet fühlen kann.
    2 . Die Primitiven und ihre Zuschauer
    Das Primitive und Vulgäre im heutigen Fernsehen ist oft ein komplexes Produkt. Denn die meisten Primitiven sind, psychoanalytisch gesehen, »Übertragungsobjekte«

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