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Wofür es sich zu leben lohnt

Wofür es sich zu leben lohnt

Titel: Wofür es sich zu leben lohnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Pfaller
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Geschädigter. Bezeichnend allerdings ist, was er dann mit ihnen macht.
    4 . Warum sind die Schwachen nicht die Guten?
    Ein Lieblingsprinzip der narzisstischen Weltauffassung ist der Satz: ›Du bist gut, weil du schwach bist.‹ Die Schwachen sind für sie deshalb immer die Guten, weil sie schließlich diejenigen sind, die sich am wenigsten mit der schlechten Welt beschmutzt haben. Nur als Gescheiterte sind sie in einer schlechten Welt unverdächtig. Mit hohem Befreiungspathos angetreten, erweist sich die narzisstische Weltauffassung an diesem Punkt als eine Agentin der
Entpolitisierung
. Denn nun können die Schwachen nur noch schwach bleiben (sofern sie nicht zu Bösen werden wollen).
    Gerade in ihrem Größenwahn, der sich jeder Messung und Prüfung an der Welt arrogant entschlägt, hält die narzisstische Weltauffassung sich selbst und alles, was sie mit ihren Präferenzen überziehen kann, klein und ohnmächtig. Künstlerinnen zum Beispiel werden von Kuratorinnen oft nur dann zu Ausstellungen eingeladen, wenn sie bereit sind, die Tatsache, dass sie Frauen sind, in ihren Arbeiten in offensichtlicher, leicht nacherzählbarer und anklagender Weise in den Vordergrund zu stellen. Künstlerische Eigenwilligkeit und der Gebrauch komplexerer formaler Sprachen werden ihnen nun ironischerweise von weiblichen Verantwortlichen und im Namen der Sache der Frauen oft noch massiver und grundsätzlicher verwehrt als in jener vergangenen Epoche, in der die Kunst eindeutiger eine Sache der Männer war. Die Künstlerinneninitiative »Das gewisse Etwas« (Conny Habbel, Marlene Haderer, Karo Szmit, Gunda Wiesner) erforscht diese Strukturen seit mehreren Jahren und hat begonnen, verschiedene Personen aus dem Kunstbetrieb in einer Reihe von Interviews dazu zu befragen (www.wie-geht-kunst.at).
    In ähnlicher Weise geschieht das mit Kunstschaffenden aus den zahlreichen vom Imperialismus geschädigten fernen Weltgegenden, auf die eine bestimmte, moralisierende Kunstwelt seit den 90 er Jahren besonders neugierig ist: Sie haben gefälligst ihre eigene regionale Lage zu thematisieren und werden ausgeschlossen, wenn sie etwas anderes als kümmerliche und armselige Zeugnisse davon vorlegen. [75] Darauf hat Nicolas Bourriaud vor kurzem hellsichtig hingewiesen: »Die Politik der ›Anerkennung des Anderen‹ […] stellt sich als Maschine der Inferiorisierung heraus, impliziert die Unterwerfung der Individuen, die aus ›peripheren‹ Ländern stammen, unter ihre Folklore […]« (Bourriaud 2007 : 37 ).
    Mit den Schwachen sympathisieren und alles tun, damit sie nicht aufhören, schwach zu sein – diese Doppelbewegung kennzeichnet die narzisstische Mitleidsmoral. Im Miniaturmaßstab kann man sie zum Beispiel auch an Universitäten erleben: Dort manifestiert sie sich regelmäßig als das Fatale der mittelmäßigen Professoren. Ein amerikanisches Sprichwort bezüglich von Berufungsverfahren an Universitäten sagt: ›Erstklassige Professoren berufen erstklassige; zweitklassige aber berufen drittklassige.‹ Aus diesem Grund sind mittelmäßige Personen in diesem Zusammenhang so katastrophal: sie sind nicht nur ein bisschen schlechter als andere; hinzu kommt noch der »Kollateralschaden« – denn sie setzen vielmehr ihre ganze Kraft dafür ein, dass auch allen anderen nichts Besseres gelingt als ihnen selbst. Klarerweise führen mittelmäßige Professoren viel soziales Pathos im Mund. So sind sie selbstverständlich auch immer auf der Seite der schwächsten Studenten: Denn unter ihnen rekrutieren sie sich ihre willfährigen Vasallen (ähnlich den drittklassigen Professoren); diese halten sie abhängig und erfolglos – nicht ohne sie letztlich auch insgeheim ein wenig dafür zu verachten.
    Aus diesem Grund ist es gegenwärtig wichtig, sich wieder für die Philosophie Nietzsches zu interessieren und sie – ähnlich wie es Georges Bataille und seine Mitstreiter von der Gruppe »contre-attaque« in den 30 er Jahren unternommen haben [76]  – dem Faschismusverdacht sowie den entsprechenden Vereinnahmungsversuchen zu entreißen. Diese Philosophie ist das Korrektiv und die Medizin für die insbesondere innerhalb sich für gesellschaftskritisch haltender Gruppen weit verbreitete, narzisstische, mitleidige und selbstmitleidige Verlierermentalität. Nietzsche hat gezeigt, dass Verlierer dazu tendieren, alles Siegreiche, Große grundsätzlich für Böse zu erklären und sich selbst damit selbstgefällig im Unglück zu verbarrikadieren (s.

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