Wofür es sich zu leben lohnt
sitzen bleiben.
2 . Woher kommt die Freude am Scheitern?
Die Koketterie mit dem Scheitern wird – meist wenig bemerkt – angetrieben von einem zwielichtigen philosophischen Programm. Sie ist die lebensnah anmutende Marionette einer metaphysischen Weltauffassung. Dieser Auffassung zufolge ist die Welt grundsätzlich schlecht. Das bedeutet, dass diese Welt alles Große und Gute unweigerlich,
mit Notwendigkeit
scheitern lässt. Nichts davon kann in dieser grundsätzlich schlechten Welt jemals zu einem Erfolg gelangen. [73] Mehr noch: Diese grundschlechte Welt lässt
gerade und ausschließlich
das wahrhaft Gute und Große scheitern. Nicht nur
alles
davon, sondern auch
nur
dieses.
Diese systematische und konsequente Grundschlechtigkeit der Welt erlaubt ihrer metaphysischen Anschauung nun allerdings einen kolossalen Umkehrschluss: Alles, was in dieser Welt scheitert, ist ebendeshalb schon das wahrhaft Großartige und Gute. Nicht nur die wenigen, besonderen Fälle, in denen etwas Gutes aus mehr oder weniger unvorhersehbaren Gründen vielleicht nicht zu dem Erfolg gelangte, den man ihm gewünscht hätte, sondern alles, was schiefgeht, eignet sich nun für den Verdacht verborgener Größe. Jeder und jede, die irgendetwas nicht zustande gebracht haben, können sich nun mit der Erklärung trösten, dass das, was sie wollten, zu gut für diese Welt war. Diese billige und leicht verfügbare metaphysische Entschädigung wird allerdings um einen hohen Preis erkauft: Nun verschwinden alle Unterschiede und Kriterien, die die Welt bereithält; es wird zunehmend schwieriger, das Klügere und Bessere vom ganz Dummen und von vorneherein Aussichtslosen zu unterscheiden – was allerdings nötig wäre, um vielleicht beim nächsten Mal Erfolg zu haben.
Auf Erfolg aber wird nun grundsätzlich verzichtet. Politisch ist das insbesondere in jenen (z.B. deutschsprachigen) Ländern fatal, wo man nicht auf siegreiche Revolutionen oder erfolgreiche Kämpfe gegen den Faschismus zurückblicken kann. Die Niederlage gerät dann leicht nicht bloß zum historischen, sondern zum grundsätzlichen Merkmal der eigenen Position und wird als solche libidinös besetzt (wodurch weitere Niederlagen mehr als wahrscheinlich werden). Alles Mächtige oder Gewaltige erscheint umgekehrt dafür von vorneherein verdächtig oder faschistoid. Obwohl es das Mittel und die Beute aller Kämpfe ist, verwechselt man sie nun leicht mit dem Feind und beginnt sie ebenso abzulehnen wie diesen. Eine zimperliche und wehleidige Grundstimmung kennzeichnet darum insbesondere die von der Philosophie Theodor W. Adornos geprägte deutsche Nach- 68 er-Ideologie. [74] Man muss sich völlig rein halten von jedem Anflug von klarer Zielvorstellung oder resoluter Umsetzung; denn jeglicher Sieg, jede Machteroberung kann hier nur als Einbruch »instrumenteller Vernunft«, als Trübung und Verrat an einer auf immer negativ zu haltenden Utopie erscheinen.
Diese abstinente Position erlaubt allerdings bezeichnenderweise durchaus ein vorteilhaftes Nahverhältnis zu Macht: So hat es bis heute kein Anhänger der Frankfurter Schule, die seit Jahrzehnten gern über »herrschaftsfreie Kommunikation« sprechen, für nötig gehalten, sich zu der seit 2006 offen eingestandenen Anwendung von Folter durch die USA und deren Verbündete zu äußern. Darauf hinzuweisen, welchen entscheidenden Meilenstein diese bewusste Aufgabe von Menschenrechtsstandards für die Entwicklung post-demokratischer kapitalistischer Verhältnisse darstellt, blieb vielmehr Philosophen wie Slavoj Žižek vorbehalten (s. Žižek 2007 ), die von der Frankfurter Philosophenschule sowie der von ihr geprägten, zartbesaiteten Kulturlinken gern als politisch inkorrekte »Borats« der Philosophie charakterisiert werden.
3 . Wer ist gut, wenn alles schlecht ist?
Wenn die Welt und alles Objektive schlecht ist, dann ist umgekehrt etwas anderes, Entgegengesetztes, gut: das Subjektive – das heißt: das Ich und alles, was ihm nahesteht. Die metaphysische Wertschätzung für das Scheitern und Gescheiterte in der Welt ist immer eine mehr oder weniger stille Würdigung einer dem Ich gewidmeten Größenphantasie. Die Psychoanalyse hat für eine solche Weltauffassung einen klinischen Namen vorgeschlagen:
Narzissmus.
Der Narzissmus ignoriert nicht bloß die Bedeutung der materiellen Welt und ihrer strukturellen Verhältnisse; er dämonisiert sie vielmehr. Das Ich allein erscheint ihm als etwas Gutes, Lustvolles und Reines. Alles Materielle
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