Wohin der Wind uns trägt
hinunterliefen und ihr Make-up ruinierten, und sah ihren Mann an.
»Sind sie … ich meine, wie schwer sind sie …?«, stammelte sie mit zitternder Unterlippe.
»Sie haben ein paar Kratzer und Schrammen abgekriegt, und Jo musste sich eine Wunde an der Stirn nähen lassen. Aber das heilt wieder.«
Nina stieß einen Entsetzensschrei aus.
»Um Himmels willen, ihr Gesicht! Sie soll doch Fotomodell werden.« Ihre Angst verwandelte sich schlagartig in Wut, als sie ungläubig den Kopf schüttelte und Charlie am Ärmel packte. »Das hätte nicht passieren dürfen! Du weißt doch, wie sehr ich dagegen bin, dass die beiden sich auf dieser grässlichen Rennbahn herumtreiben. Warum hast du ihnen erlaubt zu reiten? Warum hörst du nie auf mich?«
Charlies Miene verfinsterte sich. »Darüber können wir später sprechen«, entgegnete er leise.
»Warum später und nicht jetzt?«, rief Nina laut.
Ihre Finger bohrten sich in den Stoff seiner Jacke, ihre Brust hob und senkte sich. Die Tränen strömten ihr über die Wangen.
Eine Krankenschwester blieb stehen.
»Kann ich etwas für Sie tun?«, fragte sie.
Charlie bat sie mit einem Kopfschütteln zu gehen. Diese Unterbrechung war für Nina eine willkommene Ablenkung. Abrupt entriss sie Charlie ihre Hand und starrte ihn anklagend an. Ihre Wimperntusche war vom Weinen verschmiert.
»Wie konntest du nur?«, wiederholte sie. »Sind deine Kinder dir etwa gleichgültig? Oh, mein Gott. Warum sitze ich eigentlich noch hier? Wo sind sie? Ich muss zu ihnen.«
Ohne nachzudenken, sprang sie auf und hastete den Flur entlang, ihre hohen Absätze klapperten auf dem grauen Linoleum.
Mit zwei langen Schritten hatte Charlie sie eingeholt, und sie sackte gegen ihn. Er nahm sie in die Arme und liebkoste ihr weiches braunes Haar, von dem der Seidenschal heruntergerutscht war. Ihre Reaktion machte es ihm nicht leicht, Ruhe zu bewahren, denn seit dem Augenblick des Unfalls zermürbte er sich mit ganz ähnlichen Vorwürfen. Ninas Schultern bebten, und heisere Schreie stiegen aus ihrer Kehle auf. Sie zitterte am ganzen wohlgeformten Körper wie Espenlaub, und der schwere Moschusduft des teuren Parfüms, der von ihr ausging, wirkte in der sterilen Krankenhausatmosphäre völlig fehl am Platz.
»Du bist ein Kind in einem wunderschönen, erotischen Körper, der mich noch immer anzieht«, schoss es ihm durch den Kopf. Er hatte nie etwas anderes von Nina erwartet und liebte sie abgöttisch. Und er wusste von Anfang an, dass er das erwachsene Element in ihrer Ehe sein musste.
»Im Moment ruhen sie sich beide aus, Neene«, sagte er leise. Ihre Schluchzer verebbten allmählich, und sie schniefte nur noch hin und wieder. Er ließ sie los und griff nach ihren Händen. Während er diese fest umfasst hielt, schilderte er ihr in knappen Worten die Verletzungen der Zwillinge.
»Rick ist so frech wie eh und je, auch wenn er ein wenig über die Schmerzen klagt. Aber Jo fühlt sich noch leicht benommen. Sie mussten ihr unter Narkose die Schulter einrenken. Wenn die Fäden erst gezogen sind, ist sie wieder wie neu«, schloss er im Brustton der Überzeugung.
Allerdings behielt er Nina gegenüber lieber für sich, welche Sorgen er sich gemacht hatte. Er wagte erst, seine Frau anzurufen, als feststand, dass die Zwillinge nicht mehr in Lebensgefahr schwebten.
Rick hatte sich bemerkenswert schnell von seinem schweren Sturz erholt und war zu Charlies großer Erleichterung bereits im Krankenwagen wieder zu sich gekommen, obwohl er noch flach atmete und offensichtlich große Schmerzen litt. Er hatte sich nicht nur die Nase, sondern auch das Schlüsselbein und drei Rippen gebrochen. Außerdem litt er unter einer Art Schleudertrauma. Charlie empfand es immer noch als ein Wunder, dass Rick nicht von dem Pferd zerquetscht worden war.
Allerdings war Jo in den Augen der Ärzte noch nicht über den Berg. Sie hatte sich die Schulter ausgerenkt und das rechte Handgelenk verstaucht. Zudem bestand die Möglichkeit, dass die Verletzung an ihrem Kopf mit inneren Blutungen verbunden war. Die Reitkappe hatte zwar den Großteil des Aufpralls abgefangen, doch der tiefe Riss und der Bluterguss zeigten, dass sie ziemlich heftig mit dem Kopf aufgeschlagen war. Als Charlie die noch stark benommene Jo allein ließ, um sich auf die Suche nach Nina zu machen, hatte der Stationsarzt sich gerade vergewissert, dass keine Verschlechterung ihres Zustandes eingetreten war. Beide Zwillinge mussten in den nächsten Stunden aufmerksam beobachtet
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