Wohin die Liebe führt
läutete im Nebel des dumpfen Schlafes das Telefon. Nora hörte es und hörte es nicht. Sie wollte nicht. Sie drückte das Gesicht tiefer in die Kissen und preßte ihre Hände an die Ohren. Aber das Telefon läutete weiter.
»Rick! Geh zum Telefon!« Der Gedanke machte sie wach. Weil Rick tot war.
Sie drehte sich um und starrte böse auf das Telefon. Jetzt klang das Läuten entfernter; da war nur noch das leise Klingeln der kleinen Glocke ihres Schlafzimmeranschlusses. Noch immer rührte sie sich nicht.
Nach einem Augenblick hörte das leise Klingeln auf; das Haus war wieder still. Nora setzte sich auf und griff nach einer Zigarette. Das Schlafmittel, das ihr der Arzt nachts gegeben hatte, pochte noch dumpf in ihrem Kopf. Sie zündete die Zigarette
an und sog den Rauch tief ein.
Mit einem Klicken meldete sich die Haussprechanlage. Sie hörte die Stimme des Dieners: »Sind Sie wach, Miss Hayden?«
»Ja«, antwortete sie, ohne aufzustehen.
»Ihre Mutter ist am Telefon.«
»Sagen Sie ihr, ich rufe sie in fünf Minuten an, Charles. Und bringen Sie mir etwas Aspirin und Kaffee.«
»Ja, Madam.« Die Sprechanlage klickte ab, kam aber gleich darauf wieder: »Miss Hayden?«
»Ja?«
»Ihre Mutter sagte, es ist sehr wichtig, daß sie sofort mit Ihnen sprechen kann.«
»Also in Gottes Namen«, sagte Nora wütend. Sie griff nach dem Telefon. »Und, Charles - beeilen Sie sich mit dem Aspirin und dem Kaffee. Ich habe die fürchterlichsten Kopfschmerzen.« Dann sprach sie ins Telefon: »Ja, Mutter?«
»Bist du wach, Nora?« Die Stimme ihrer Mutter war hell und durchdringend.
»Jetzt allerdings«, antwortete sie grollend. Sie begriff nicht, wie ihre Mutter das machte. Sie war weit über siebzig, und ihre Stimme klang, als sei sie schon stundenlang wach.
»Es ist halb sieben, Nora. Und wir erwarten dich um sieben. Mister Gordon ist schon hier.«
»Ist Luke auch da?«
»Nein. Aber er wird bald kommen.«
»Du bist so sicher. Woher weißt du es? Hast du etwas von ihm gehört?«
»Nein.«
»Vielleicht ist er gar nicht hier.«
»Er ist gewiß schon hier«, sagte die Mutter bestimmt. »Er hat doch gesagt, daß er kommt.« »Du hast ihm immer mehr geglaubt als mir, nicht wahr?« Ihre Stimme war wieder voll Unmut.
»Darauf kommt es nicht an. Du bist meine Tochter.«
»Und lediglich darauf kommt es an!« fügte Nora bitter hinzu.
»Das stimmt«, sagte die Mutter scharf und abschließend. »Und wenn du das bis jetzt nicht begriffen hast, wirst du es wohl niemals lernen.«
Ein vorsichtiges Klopfen, dann ging die Tür auf, und Charles kam herein. Er trug ein kleines silbernes Tablett.
»Mister Gordon möchte, daß du ein möglichst einfaches Kostüm trägst und einen Tuchmantel, Nora. Und kein Make-up, nur etwas blassen Lippenstift.«
»Mister Gordon denkt an alles.«
Charles stellte das Tablett ab und goß eine Tasse voll Kaffee. Er reichte sie Nora, dazu drei Aspirintabletten auf einem kleinen Teller.
»Du kannst Gott danken, daß wir ihn bekommen haben«, sagte Mrs. Hayden.
»Muß ich denn kommen? Ich fühle mich scheußlich schlecht. Ich habe fürchterliches Kopfweh.«
»Nora!« Die Stimme der Mutter klang entrüstet.
»Was kann ich schon dabei nützen? Ich werde diese Fragerei heute morgen einfach nicht ertragen können. Und die Reporter werden dasein...«:
Jetzt wurde Mrs. Haydens Stimme kalt und hart. »Du wirst heute früh mit deiner Tochter zum Jugendgewahrsam gehen. Das ist einmal etwas, das ich nicht für dich tun kann. Danis Vater wird dasein, und du wirst dasein, ob es dir paßt oder nicht.«
Die Kopfschmerzen umspannten Noras Schläfen wie ein Schraubstock. »Schon gut. Ich werde dasein.«
Sie legte den Hörer auf, nahm das Aspirin, legte die drei Ta-bletten auf die Zunge und spülte sie mit einem Schluck Kaffee hinunter.
»Und wie geht es Miss Danielle?« fragte Charles leise. Ein fragender Blick lag auf seinem glänzenden, runden Gesicht.
Etwas betroffen sah sie den Diener an. Sie selbst hatte nicht gefragt. Aber schließlich hatte sie auch keinen Grund dazu. Wenn es Danielle schlechtgegangen wäre, hätte ihre Mutter etwas davon gesagt.
»Gut«, antwortete sie automatisch.
Charles wartete, daß sie weiterspreche.
»Meine Mutter sagte, sie schläft noch«, log sie. Dann ärgerte sie sich über sich selbst. Sie war ihm keine Erklärung schuldig. Charles war nichts als ein Diener. Gleichviel, wie lange er schon bei ihr war.
»Sagen Sie Violet, sie soll mein Bad einlassen«, sagte sie
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