Wohin die Liebe führt
scharf.
»Ich schicke sie sofort herauf, Madam.«
Die Tür schloß sich hinter ihm. Nora trank ihren Kaffee aus. Dann stieg sie aus dem Bett und schenkte sich eine zweite Tasse ein. Als sie sich umwandte, sah sie ihr Bild in dem großen Spiegel über dem Frisiertisch. Die Tasse noch in der Hand, ging sie auf das Bild zu.
Sie studierte es sehr sorgfältig. Nein, ihre achtunddreißig Jahre sah man ihr nicht an! Sie war noch sehr schlank und sehr gerade. Auf ihren Hüften kein Fett, und ihre Brüste - sie waren nie groß gewesen noch rund und fest. Sie trank schluckweise ihren Kaffee, ohne ihr Spiegelbild aus den Augen zu lassen. Es gefiel ihr, wie ihr Fleisch durch die dünne weiße Seide und die Spitzen ihres Nachtkleides schimmerte. Sie beugte sich näher zum Spiegel und prüfte ihr Gesicht. Unter ihren Augen waren matte blaue Ringe, aber sonst war kein Anzeichen von alledem zu sehen, was sie durchgemacht hatte. Ihre Augen waren klar, das Weiße darin nicht gerötet, und das Fleisch über den Backenknochen war fest und keine Spur schwammig. Jetzt fühlte sie sich schon besser. Jeder, der sie heute sah, würde kaum glauben können, daß Danielle wirklich ihre Tochter war. Nebenan im Badezimmer lief nun das Wasser in die Wanne. Schnell trank sie den Kaffee aus, ließ die Tasse auf dem Frisiertisch stehen und ging ins Badezimmer.
Das farbige Mädchen sah auf von der großen eingelassenen Marmorwanne. »Guten Morgen, Miss Hayden.«
Nora lächelte. »Guten Morgen, Violet.«
»Haben Sie gut geschlafen, Miss Hayden?«
»Ich kann mich an nichts mehr erinnern von dem Augenblick an, als mir Doktor Bonner die Spritze gegeben hat.«
»Ich habe nicht gut geschlafen. Die Polizisten haben mich die halbe Nacht wach gehalten mit ihrer Fragerei.«
Nora sah sie neugierig an. »Was haben Sie ihnen gesagt?«
»Was konnte ich schon sagen?« Violet richtete sich auf. »Genau, was ich gesehen habe, als ich ins Atelier kam.« Sie griff nach einem Flakon mit Badesalz, der auf dem Regal über der Wanne stand, und begann das duftende Salz ins Wasser zu streuen. »Als ich hineinkam, knieten Sie auf dem Boden und beugten sich über Mister Riccio. Und Miss Dani, die drückte sich an die Wand.«
»Ich wünsche nicht mehr darüber zu sprechen«, sagte Nora kalt.
»Ja, Madam. Ich auch nicht. Ich möchte nicht mal mehr dran denken.« Sie schloß den Flakon und stellte ihn wieder auf seinen Platz. Der zarte Moschusduft stieg mit dem Dampf aus der Wanne auf. »Es dauert ein paar Minuten, bis die Wanne voll ist. Wünschen Sie, daß ich Sie inzwischen massiere? Es wird Sie entspannen, Madam.«
Nora nickte stumm und zog das Nachthemd über den Kopf.
Violet kam schnell, nahm es ihr ab und faltete es ordentlich auf einem Stuhl zusammen, während sich Nora auf den schmalen Massagetisch legte.
Sie drückte das Kinn auf ihre gekreuzten Arme. Es tat so gut, sich auszustrecken, bis man spürte, wie jeder Muskel im Körper angespannt war. Sie atmete tief und schloß die Augen.
Nach dem Bad drückte sie auf den Knopf der Sprechanlage.
»Charles?«
»Ja, Madam?«
»Würden Sie bitte den Wagen aus der Garage holen. Und könnten Sie mich heute fahren? Ich fühle mich nicht wohl genug.«
»Selbstverständlich, Madam.«
Sie ließ den Knopf los und stand auf. Ehe sie hinausging, studierte sie sich nochmals in dem langen Spiegel. Harris Gordon wußte, was er tat. Der richtige Eindruck war so wichtig in einer solchen Situation.
Das schwarze Kostüm, das sie trug, war vollendet. Es ließ sie sehr schlank und sehr jung erscheinen. Und der einfache Tuchmantel über dem Arm gab die letzte Note - was ihre Freunde aus der Werbebranche »schlicht und gediegen« nennen würden. Sie sah jung, attraktiv und sehr vertrauenswürdig aus. Dann griff sie nach Handschuhen und Tasche und verließ das Zimmer.
Das Klappern ihrer Pfennigabsätze auf den Marmorstufen gab einen hohlen Widerklang, als sie in die Halle hinunterging. Sie sah aus einem der Fenster neben der Tür.
Charles hatte den Wagen noch nicht gebracht.
Einem Instinkt folgend, den sie nicht ganz verstand, ging sie den schmalen Gang hinunter, der ins Atelier führte. Überrascht blieb sie am Eingang stehen. Ein junger Polizist saß davor.
Er stand auf und griff unbeholfen an seine Mütze. »Guten Morgen, Madam.« »Guten Morgen. Ich bin Miss Hayden.«
»Ich weiß, Madam. Ich war letzte Nacht hier.«
In gespielter Überraschung zog sie die Brauen hoch. »Die ganze Nacht?« fragte sie. »Ohne zu
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