Wohin mit mir
Fruchtfleisch sehen könnten. Er umhüllt die kleine Knolle behutsam und mehrfach, als sei sie eine Prinzessin auf der Erbse, überreicht, nachdem er uns noch die besten Tagliatelle empfohlen hat, Tobias das Paket.
Ein Theaterauftritt ist nichts dagegen, sagt dieser, als wir den Laden verlassen haben, und wir spotten über unsere neuen, bizarren, aber vielleicht auch verzichtbaren Erfahrungen nach dem Einsturz der Mauer und tragen dennoch fröhlich unseren Schatz nach Hause.
Aber noch fehlen die Getränke. Als letztes daher in die Weinhandlung in der Via di Ripetta mit den bis zur Decke reichenden, mit Flaschen gefüllten dunklen Holzregalen. Der mit einem Wortschwall auf uns zueilende eloquente Verkäufer. Er kennt mich, weiß, daß ich Ausländerin bin, kann sich aber offenbar nicht vorstellen, daß sein wasserfallartiges Italienisch nicht verstanden werden kann. Beim Rotwein sind wir uns schnell einig. Ein italienischer soll es sein und einer aus einer Gegend, die wir zumindest vom Durchfahren kennen. Letzteres verschweigen wir, da es für einen Experten kein Kriterium sein kann. Als er Bardolino sagt, erinnern wir uns an den kleinen Ort am Gardasee und stimmen zu. Und dann ein Sekt. Per l'ultimo dell'anno, per San Silvestro , fragt er. Si, si . Ein Redeschwall
folgt, dem wir entnehmen, für den Eintritt in ein neues Jahrtausend könne, müsse es ein Champagner sein. Und schon ist er die Leiter hochgeklettert, mit einer Hand hält er sich daran fest, mit der anderen führt er, sich waghalsig zu uns herunterbeugend, sein Champagner-Angebot vor. Erstaunlich, wie er trotz seiner eingeschränkten Stellung auf der Leiter Gestik und Mimik spielen läßt. Unser Beifall; wir folgen seiner Empfehlung, kaufen einen teuren Champagner.
Für den Abend sind wir zu Bettina eingeladen.
25. Dezember
Gegen drei Uhr am Morgen zurück. Die Heilige Nacht, die wir in der Via Barrili verbracht haben. Zwei annähernd gleichaltrige Frauen, zwei junge Männer, Mutter und Sohn jeweils. Gegen 19 Uhr holte uns Bettina ab. Tobias' heitere Gesprächigkeit im Auto. Daß die Chemie zwischen den beiden stimmte, hatte ich schon bei unserem ersten kurzen Besuch in der Buchhandlung an der Piazza Montecitorio wahrgenommen. Und war es mir mit Niklas nicht ebenso ergangen? Von Bettina ganz zu schweigen, sie wird eine Freundin über dieses halbe Jahr Rom hinaus bleiben.
Die schöne große Wohnung. Die jungen Männer im Wohnzimmer. Bettina in der Küche am Herd, ich tatenlos daneben. Gespräch über das, was da in der Röhre köchelte und uns schon beim Eintritt in den Korridor verführerisch in die Nasen fuhr. Bei eurem Dreierprojekt, sagt Bettina übergangslos, paß auf Tobias auf. Ich frage nicht nach dem Warum, ich weiß es selbst.
Ich will die Schleusen nicht öffnen, bin aber den Tränen nah. Da ertönt rettend aus dem Wohnzimmer der Ruf: Hunger.
Und dann brennen die Lichter am Weihnachtsbaum, wir sitzen um den Tisch, Wein in den Gläsern, wir stoßen an, das helle Klingen, von den Tellern dampft es. Ein Rezept von Bettinas römischer Marktfrau: mit Rosmarin gewürzt, Tomaten- und Kartoffelscheiben, Zwiebelringe, Lachsscheiben in einer Pfanne geschichtet, obenauf Garnelen. Köstlich.
Das Gespräch verläßt die Bahnen der Heiterkeit nicht; selbst dann, als Bettina den Sohn unvermittelt – mein Herz stockt – nach den technischen Anforderungen bei dem Buch fragt. Ich bin überrascht, wie präzise er die Schwierigkeiten benennt; bin zugleich schockiert, wie schnell mein Vorstellungsvermögen bei der Darlegung technischer Details versagt. Für eine Zeit dann verschwinden die jungen Männer ins Nebenzimmer, vermutlich sitzen sie vor dem Computer. Dann sind wir wieder zu viert. Eine neue Flasche Wein.
Auf dem Bildschirm, ohne Ton, die Übertragung der Christmette aus dem Petersdom. Heute – Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen sind seit Wochen voll davon – wird Papst Johannes Paul II . die Porta del Paradiso, die Porta Santa, eine der fünf in die Peterskirche führenden Türen öffnen. Seit dem Jahr 1300, seit Papst Bonifatius VIII ., ein institutionalisiertes Ritual; das Öffnen der heiligen Pforte leitet das sogenannte Jubeljahr ein. Ursprünglich, sagt Niklas, hieß es Jobeljahr, vom hebräischen Wort Jobel (yobale) , das für den Klang der Schofars, einer Art Posaune steht, die das Jahr ankün
digt. Luther übersetzte es mit Halljahr und Erlaßjahr , weil in ihm ein besonderer Sünden-Ablaß möglich war. Zuletzt war die
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