Wohin mit mir
der U-Bahn zur Station Piramide. An August von Goethes und Antonio Gramscis Gräbern. Keine Sommerfülle mehr, zurückhaltende Dezemberfarben. Dann in das alte Kraftwerk nach Garbatella in die Ausstellung »Maschinen und Götter«. Die Musa Polimnia. Der Sohn entdeckt, daß im obersten Stockwerk eine Fotoausstellung ist; von dort ein Blick über die Ewige Stadt, die in keinem Reiseführer zu finden ist, endlos triste Neubauten. Der Anfang von Federico Fellinis »Roma«, sagt er.
24. Dezember
In der Nacht mehrmals wach, wieder das Geräusch. Meine Beunruhigung. Drei Tage wird die Casa di Goethe geschlossen sein.
Die Feiertage. Wir müssen einkaufen. Die Seitengassen der Via del Corso. Winzige Geschäfte. Der Sohn ist entzückt. Während ich noch aus der Kindheit Fleischer- und kleine Kolonialwarenläden kenne, ist es für den mit tristen DDR -Kaufhallen aufgewachsenen und nun an Supermärkte gewöhnten etwas völlig Neues. Die
Metzgerei, war sie in der Via di San Giacomo oder in der Via dei Greci? Im Schaufenster aufgereiht nackte Hühner mit langen Hälsen, Fasane noch im Federkleid. Im Inneren Schweine- und Rinderhälften an großen Haken hängend, aus denen der Schlachtermeister – seine rechte Hand hat nur zwei Finger – die vom Kunden gewünschten Stücke schneidet. Die Metzgersfrau mit blutiger Schürze, die Ränder der Fingernägel schwarz, der Kittel unter der Achsel zerrissen. Ein faszinierendes Gesicht. Eine eigenartig grobe Schönheit. Sie scherzt mit jedem Kunden, wir verstehen nicht, was sie sagt. Aus der Art des Gelächters aber, das den ganzen Laden erfüllt, läßt sich auf Obszönitäten schließen.
Dann mein kleiner Lebensmittelladen in der Via di Gesù e Maria. Wie immer ist er überfüllt. Aber statt zwei sind heute vier Verkäufer da. Wir stehen noch in der zweiten Reihe und werden schon nach unseren Wünschen gefragt. Die vertraute Begrüßung als Kundin. Und wie stets ein persönliches Wort. Mit Blick auf Tobias die Frage: Besuch aus Deutschland, der Sohn etwa? Als ich bejahe, folgt ein langes Lob seiner Jugend und Schönheit. Über den Kopf der vor mir stehenden Frau dann rufe ich, was wir möchten. Und als der Verkäufer uns die vollen Tüten über die Theke reicht, sagt er: Con tanti auguri per natale und dann ed un felice anno nuovo und ich erwidere: Con tanti auguri per natale, ed un felice anno nuovo . Tobias lacht, man könnte glauben, du sprächest italienisch.
Dann verlieren wir uns in der Via Margutta – hier war ich noch nie –, kleine Galerien, Antiquitätengeschäfte, Restaurierungswerkstätten für antike Möbel.
Das Gewirr der Gassen. Schließlich stehen wir in der Via della Croce vor einem Feinkostladen. Das Schaufenster voller Köstlichkeiten. In der Mitte thronen auf einem Porzellanteller unter einem Glassturz drei weiße Trüffel. Ihr Preis ist sündhaft. Wir sehen uns an, lachen, sind uns einig: einer davon wird unser Weihnachtsessen.
Wir gehen hinein, sind die einzigen Kunden. Der Verkäufer, ein älterer Herr, Fliege, pomadisiertes Haar, hohe, schrille Stimme; er spricht ausgezeichnet deutsch. Wir hätten keine Ahnung, wie wir den Trüffel zubereiten sollen, sagen wir. Er klärt uns auf. Ganz einfach, hauchdünn hobeln und über heißen Tagliatelle servieren. Er schnalzt mit der Zunge, spitzt den Mund, beglückwünscht uns zu unserer Entscheidung. Als er den Glassturz von dem aus dem Schaufenster genommenen Porzellanteller hebt, strömt uns ein scharfer eigenartiger Geruch entgegen.
Ein faszinierender Anflug von Morbidität, ein starkes Aroma, ruft er. Und als wir darüber lachen, setzt er zu einer Trüffel-Lektion an. An keiner königlichen Tafel, weder im Altertum noch in der Renaissance, habe die köstliche Knolle fehlen dürfen. Lukullus sei ein großer Freund der Trüffel gewesen. Ebenso der Sonnenkönig. Aphrodisische Eigenschaften seien ihnen zugesprochen worden, ein Nahrungsmittel und zugleich ein Mythos. Nach Plutarch und Juvenal seien sie aus dem Einwirken von Regen, Donner und Hitze auf mineralische Elemente entstanden. Francesco Petrarca habe ein Sonett auf den Trüffel geschrieben. Er beginnt zu deklamieren: dent o dove Giammai nosi aggiora …
Ich zeige auf den kleinsten der drei, er unterbricht sich, nimmt ihn vorsichtig vom Teller; ein Tartufo Bianco d'Alba , sagt er, die Königin unter den Trüffeln, nicht in Symbiose mit einer Pappel oder Birke, sondern mit einer Eiche gereift, was wir an dem hellbraunen, fast karamellfarbenen
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