Wolf Shadow Bd. 2 - Magische Versuchung
bevor er sich entschließen konnte, anzugreifen.
Gan trat lächelnd zurück.
Lily lächelte nicht. Sie schluckte einmal, zweimal, als hätte sie Mühe, den Dämonenspeichel bei sich zu behalten. Dann breitete sich langsam Verwirrung auf ihrem Gesicht aus.
Die Rötung um ihre Wunde herum wurde schwächer.
Dann ging alles ganz schnell, schneller, als er selbst eine solch schwere Verletzung hätte heilen können. Erst wurde die rot entzündete, nässende Haut wieder samtweich, dann schrumpfte die Blase, und schon nach fünf Minuten war von der Verbrennung nichts mehr zu sehen. Und auch die Wunde an ihrer Schulter war verschwunden.
Rule fragte sich, ob die Menschen das Gleiche wie er jetzt empfanden, wenn sie seine Fähigkeit zur Heilung erkannten. Fühlten sie sich ebenso unsicher und unruhig? Waren sie, genauso wie er, überzeugt, dass es eigentlich nicht so einfach sein dürfte? Dass man irgendwann dafür bezahlen musste, wenn etwas so leichtging?
Lily berührte ihren Bauch und rollte dann mit den Schultern, als ob sie testen wollte, ob alles noch so funktionierte, wie es sollte. Ihre Augenbrauen hoben sich. „Es hat geklappt. Ich fühle mich …“ Sie streckte beide Arme aus. „Ich fühle mich gut.“
„Das war ja auch Sinn und Zweck des Ganzen“, grummelte Gan. „Du hast genug ymu in dir, um es mit einer Klaue aufzunehmen. Und jetzt lasst uns gehen.“ Er begann, auf das andere Ende des Hohlweges zuzugehen.
Lily stand auf, ohne zusammenzuzucken oder sich auf Rules Rücken stützen zu müssen. Sie sah ihn an, aber in ihrem Ausdruck las er nichts – keine Zuneigung, keine Entschuldigung, keinen Zweifel. Vielleicht ein Eingeständnis: Er hatte es nicht gewollt, und sie hatte es trotzdem getan.
Er war, stellte er fest, stinksauer. Er wandte den Blick ab.
Gan krabbelte bereits eine enge Schlucht hoch. Als Lily ihm folgte, hatte Rule keine Wahl: Er ging ihr nach.
Die Felswände waren nicht hoch, und die Wände der Schlucht, die der Dämon sich ausgesucht hatte, waren nicht schwer zu erklimmen. Er blieb hinter ihr, während sie dem Dämon folgte, und sein Ärger wurde nicht weniger.
Er war ungerecht, und er wusste es. Aber diese Erkenntnis bewahrte ihn nicht vor seiner Wut. Lily war von ihrem wahren Ich in einer Art getrennt, die für ihn kaum vorstellbar war. Auf einmal hatte sie sich in der Hölle wiedergefunden, mit einem Wolf und einem Dämon, und erinnerte sich nicht einmal mehr an ihren Namen. Schmerzerfüllt, verängstigt und ohne Erinnerungen – warum sollte sie auch auf seinen wortlosen Rat vertrauen?
Aber Wut folgt nicht immer den Gesetzen der Logik, und seine stieg aus seinem tiefsten Inneren herauf. Denn auch er war von einem großen Teil seines Selbst abgeschnitten: von seinem Clan, seiner Familie, seiner Welt und seiner anderen Gestalt. Und er hatte Angst, dass er nichts davon je zurückbekommen würde. Er würde vielleicht nie wieder in Worten sprechen oder seinen Vater, seinen Bruder sehen. Vielleicht würde er nicht bei seinem Sohn sein können, um ihn durch den ersten Wandel zu begleiten. Vielleicht würde er nie wieder etwas mit der Hand statt mit dem Maul aufnehmen können.
Und wenn er zu lange in dieser Gestalt bliebe, würde er mit der Zeit vergessen, wie er es angestellt hatte, seine Hände zu benutzen. Er würde aufhören, in Worten zu denken. Der Menschenmann in ihm würde schwächer werden, und es würde nur noch der Wolf übrig bleiben.
Der Wolf in ihm fürchtete sich nicht wie der Mann. Er vermisste zwar seinen Clan, aber er genoss es auch, auf seinen vier Pfoten zu laufen. Und seine Gefährtin war bei ihm. Und wann hatte die Zukunft je nicht im Dunkel gelegen? Aber auch der Wolf spürte einen tiefen Schmerz.
Dort, wo eigentlich ein langes, ruhiges Lied erklingen sollte, eine Kraft, die ihn rief und seine Seele formte, war nichts als Schweigen. Auch für ihn gab es keinen Trost.
In der Hölle gab es keinen Mond.
21
Lily schreckte aus dem Schlaf hoch. Sie riss entsetzt die Augen auf. Ihr Herz hämmerte.
Durch den Nebel aus Angst sickerte der Geruch von Desinfektionsmittel, Blumen und Körperflüssigkeiten. Krankenhaus. Ihr Kopf begann zu arbeiten und versuchte die Sinneseindrücke einzuordnen.
Das Geräusch, das sie so plötzlich aus dem Schlaf gerissen hatte … Sie versuchte, es in Erinnerung noch einmal abzuspielen, und entschied, dass jemand vor ihrer Zimmertür etwas auf den harten Krankenhausboden hatte fallen lassen.
Sie hatte geträumt. Trotz des rauen
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