Wolf unter Wölfen
wundern, mit der die alte Frau tagtäglich die weite Reise zu der unangenehmen jungen Frau machte. Das Haus war neu, es war sogar ganz neu, eine Schöpfung der Inflation – und es war, als wollte es dieser Inflation nacheifern: Es war schon wieder im Vergehen, in all seiner Neuheit löste es sich schon wieder auf.
»Da, sehen Sie«, schalt die alte Frau zornig zu Petra, »was ich mir in eurem ekelhaften Kasten eingerissen habe –!«
Und sie zeigte Petra ihre Hand. Quer durch den Handteller spießte ein großer, auch noch wieder splittriger Holzsplitter.
»Das Treppengeländer«, rief die Alte zornig. »In solch einer Bude wohnen anständige Leute nicht. Das ist ja lebensgefährlich! Das kann eine Blutvergiftung geben!«
»Warten Sie, ich hole Ihnen den Splitter raus!« sagte Petra eifrig. »Ich kann so was sehr gut.«
»Wenn Sie mir aber weh tun! Ich sage Ihnen –!« rief die Alte drohend.
Mit finsteren Augen sah sie zu, wie Petra eine Nadel und eine Pinzette holte. Wie viele Menschen, die großes Leid heroisch ohne Klage ertragen, war die alte Frau Pagel den kleinen Widerwärtigkeiten des Lebens gegenüber zimperlich, weich, fast feige …
»Ich lasse mich nicht von Ihnen mißhandeln!« schrie sie.
»Sie müssen die Hand nur ruhig halten, dann tut es fast gar nicht weh«, sagte Petra. Und machte sich ans Werk.
»Es soll aber überhaupt nicht weh tun!« rief Frau Pagel. »Der ekelhafte Splitter ist schon schlimm genug, Ihre Pfuscherei habe ich grade noch nötig!« Mit starren Augen, deren Pupillen die Angst verkleinert hatte, blickte sie auf die Hand.
»Sie müssen die Hand ruhig halten!« bat Petra noch einmal. »Sehen Sie lieber weg!«
»Ich …«, sagte Frau Pagel schwächer und zuckte wieder, »… ich will das nicht … Lassen Sie den Splitter drin … Vielleicht geht er von selber raus …«
Sie suchte die Hand fortzuziehen.
»Willst du wohl ruhig halten!« rief Petra ärgerlich. »Sich so anzustellen! Hab dich bloß nicht so albern!«
»Petra!« sprach die alte Frau Pagel starr. »Petra! Was fällt dir denn ein?! Du sagst ja wohl du zu mir!«
»Da ist er!« rief Petra eifrig und hielt triumphierend den Splitter mit der Pinzette hoch. »Siehst du, wie das gleich geht, wenn du bloß ruhig hältst –?!«
»Sie sagt du zu mir«, flüsterte die alte Frau und setzte sich. »Sie sagt, ich soll mich nicht albern anstellen! Ja, Petra, hast du denn gar keine Angst vor mir –?«
»Nicht die Spur!« lachte Petra. »Du darfst ruhig weiter Fräulein zu mir sagen und behaupten, daß der Junge nicht gedeiht – ich weiß doch, wie du’s meinst.«
»Lächerliche Gans!« sagte die alte Frau ärgerlich. »Bilde dir bloß nicht ein, daß ich einverstanden bin mit dir!«
»Nein, nein!«
»Du, Peter –?«
»Ja –?«
»Wenn Wolf merkt, daß wir uns jetzt du nennen, sag ihm nicht, wie es gekommen ist. Erzähle ihm, ich habe dir das Du angeboten. Willst du das tun?«
»Nein«, lächelte Petra.
»Du willst ihm sagen, wie es war?«
»Ja«, antwortete Petra.
»Ich sage ja: Gans!« sagte Frau Pagel grollend. »Vermutlich hast du dir vorgenommen, ihm ›alles‹ zu sagen? Ja? Das hast du doch vor?«
»Natürlich.«
»Du wirst sehen, wie hübsch weit du mit dieser Methode kommst. Du verwöhnst ihn bloß. Männer vertragen Verwöhnung nicht.«
»Und du?« fragte Petra.
»Ich –?« fragte sie dagegen.
»Hast du ihn etwa nicht verwöhnt? Maßlos?«
»Ich? Nie! Ich schwöre dir: nie! Was lachst du, ich verbitte mir das! Ich werde mich doch nicht von dir auslachen lassen! Höre jetzt auf! – Du sollst aufhören! – Petra, es gibt eine Backpfeife! Petra!! – Ach, Petra, wie springst du mit mir alten Frau um?! Macht man das denn so –? Früher knieten sie nieder und baten um den Segen des Mütterleins – ich habe wenigstens so einen Quatsch gelesen –, und du lachst mich aus statt dessen! Petra –! Ach, du elende Sirene, du! Hast du mich nun auch rumgekriegt?! Armer Wolfgang!«
4
Wir haben einen langen Weg gemacht, wir müssen weiter, wir haben es eilig!
Geht man den Kurfürstendamm von der Gedächtniskirche nach Halensee zu, so führt auf der linken Seite eine kleine Straße ab, die Meinekestraße – in sie müssen wir, dort treffen wir Bekannte. Es ist fast die Ecke am Kurfürstendamm,nur ein oder zwei Häuser in die Meineke hinein, da liegt ein kleiner Laden, das Schild trägt den Namen »Eva von Prackwitz«.
Es ist ein kleiner Modesalon, die Dame kann sich dort ein Wiener Strickkleid kaufen
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