Wolfsblut
Aussehen verändert. Sie war jetzt bunt, Bäume waren darauf, die einen Fluß umgaben, und über den Bäumen ein Berg und über dem Berge der Himmel.
Eine große Furcht überkam es. Hier war noch mehr des schrecklichen Unbekannten. Das Wölflein kauerte am Rande der Höhle nieder und schaute auf die Welt. Es ängstigte sich sehr, denn das vor ihm war das Unbekannte, und das war sein Feind. Unwillkürlich sträubte sich wieder sein Haar auf dem Rücken empor, seine Lippen zogen sich in die Höhe, und es machte einen schwachen Versuch, grimmig und warnend zu knurren. So winzig und furchtsam es auch war, so forderte es doch die ganze weite Welt trotzig heraus.
Nichts passierte jedoch. Es fuhr fort zu schauen, und so vertieft war es, daß es zu knurren vergaß, und auch die Angst vergaß es. Eine Weile wenigstens verjagte das drängende Leben in ihm unter der Maske der Neugier alle Furcht, und es fing an, die nahen Gegenstände zu bemerken – eine eisfreie Stelle im Strome, die im Sonnenschein glitzerte, einen vom Blitz zerschmetterten Tannenbaum unten am Ufer und dieses Ufer selber, das sich zu ihm hinauf erstreckte und etwa zwei Fuß unterhalb der Höhle aufhörte.
Nun hatte das graue Wölflein sein Leben lang auf ebener Erde gelebt und nie erfahren, wie weh ein Fall täte. Es wußte ja gar nicht, was ein Fall bedeute, also schritt es kühn in die Luft hinaus. Seine Hinterbeine ruhten noch auf dem Rande der Höhle, als es auf einmal kopfüber hinunterfiel. Die Erde gab ihm einen tüchtigen Schlag gegen die Nase, und es schrie jämmerlich. Dann fing es an, den Abhang hinunterzurutschen. Es war wie betäubt vor Schreck, denn jetzt hatte das Unbekannte es doch gepackt, mit harter Faust gepackt und würde ihm gewiß ein fürchterliches Leid antun. Nun verjagte die Furcht all seine Kraft und Stärke, und es winselte und schrie wie ein erschrockenes Hündchen.
Das Unbekannte trug es weiter, es wußte nicht, zu welch furchtbarem Weh, und es winselte und heulte unaufhörlich. Dies war etwas ganz anderes, was ihm geschah, als damals, wo es vor Furcht wie versteinert sich geduckt hatte, während das Unbekannte dicht neben ihm lauerte. Es hatte das Wölflein gepackt, und es war unnütz, stille zu sein; auch war es nicht bloß Furcht, es war Entsetzen, was es schüttelte.
Allein der Abhang wurde allmählich sanfter, und es rollte den grasigen Hang ganz hinunter. Als es endlich stille lag, stieß es noch einen letzten Schmerzensschrei aus, darauf machte es sich in einem langen, kläglichen Gewinsel Luft. Dann ging es daran, als hätte es in seinem Leben schon hundertmal Toilette gemacht, sich das graue Körperchen von der trockenen Erde, die es besudelte, rein zu lecken.
Hierauf setzte es sich aufrecht und schaute umher, wie dies der erste Mensch auf dem Mars etwa tun würde. Ja, der kleine Wolf hatte die Wand der Welt durchbrochen, das Unbekannte hatte ihn gepackt und wieder losgelassen, und dennoch war er unverletzt! Aber der erste Mensch auf dem Mars würde sich dort weniger fremd fühlen, als das graue Junge es tat. Ohne eine Warnung, ohne vorherige Kunde von dem Vorhandensein der neuen Welt befand es sich plötzlich als Erforscher mittendrin.
Doch nun, da das Schreckliche, das Unbekannte, es losgelassen hatte, vergaß es alle Angst. Es fühlte nur Neugier bei all den Dingen, die es umgaben. Es besah sich das Gras zu seinen Füßen, die Moosbeerenstaude dicht neben sich, den toten Stamm der vom Blitz getroffenen Tanne am Rande eines freien Platzes unter den Bäumen. Ein Eichhörnchen, das rund um den Stamm lief, kam plötzlich auf das Wölflein los und jagte ihm große Angst ein. Das Wölflein duckte sich und knurrte. Doch das Eichhörnchen war ebenso erschrocken, es lief den Baum hinauf und fauchte es vom sichern Standpunkt aus wild an.
Dies erhöhte den Mut des Wölfleins, und obgleich ein Specht, den es darauf traf, ihm einigen Schreck einjagte, setzte es dennoch seinen Weg zuversichtlich fort. So groß war sein Vertrauen, daß es, als ein Häher frech auf es zuhüpfte, spielend die Pfote danach ausstreckte. Die Folge davon war ein scharfer Schnabelhieb auf seine Nase, und nun duckte es sich und schrie. Der Lärm wurde dem Häher zuviel, und er ergriff schleunigst die Flucht.
Aber das Wölflein lernte hinzu, Mit seinen noch schwachen Verstandeskräften machte es unbewußt Unterschiede; es fand lebende und leblose Dinge. Auch begriff es schon, daß man sich vor den lebendigen in acht nehmen müßte. Die leblosen
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