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Wolfsblut

Wolfsblut

Titel: Wolfsblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack London
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blieben auf ihrem Platze, aber die lebendigen bewegten sich, und man wußte nie, was sie unternehmen würden. Man hatte von ihnen das Unerwartete zu erwarten und mußte darauf vorbereitet sein.
    Es kam nur ungeschickt vorwärts. Es rannte gegen die Dinge. Ein Zweig, den es weitab glaubte, pflegte ihm im nächsten Augenblick einen Schlag auf die Nase zu versetzen oder seine Seiten zu peitschen. Auch war der Boden uneben, und es fiel entweder auf die Nase oder stolperte über seine Füße. Dann glitten oft kleinere oder größere Steinchen weg, wenn es darauf trat, und es sah ein, daß leblose Dinge auch nicht so unbeweglich wären, als sie es in der Höhle gewesen waren, und daß kleine Dinge leichter umfielen und hinunterrollten als große. So lernte es bei einem jeden Fehltritt; und je länger es dauerte, desto besser ging es, denn es paßte sich mit der Zeit den Dingen an. Es lernte seine Muskelbewegungen berechnen, seine physischen Beschränkungen kennen, die Entfernungen zwischen den Gegenständen untereinander und zwischen sich und ihnen abzumessen.
    Es hatte das Glück, das dem Anfänger hold ist. Ein Fleischfresser von Geburt, ohne es zu wissen, stieß es auf seinem ersten Streifzug in die Welt, sowie es nur den Fuß vor den Eingang seiner Höhle gesetzt hatte, auf Fleisch, und aus reinem Ungeschick kam es auf das schlau versteckte Nest eines Schneehuhns. Es fiel gerade in das Nest hinein. Es hatte sich’s einfallen lassen, auf dem umgestürzten Stamm einer Tanne entlangzuwandern. Plötzlich gab die vermoderte Rinde unter seinen Füßen nach, und mit einem Geheul der Verzweiflung rutschte es an der Rundung des Stammes hinunter und purzelte durch die Zweige und Blätter eines kleinen Busches mitten unter sieben junge Schneehühnchen. Diese schrien laut, was es zuerst erschreckte. Dann sah es, daß sie klein waren, und das machte es kühner. Sie bewegten sich unruhig, und es legte die Pfote auf eines von ihnen, was dessen Bewegungen noch unruhiger machte. Das amüsierte den Kleinen, und er beroch das Vögelchen. Darauf nahm er es in den Mund, und es zappelte und kitzelte ihm die Zunge. Zu gleicher Zeit regte sich bei ihm die Empfindung des Hungers. Seine Kinnbacken schlossen sich fester, er hörte, wie zarte Knochen prasselten, er fühlte, wie warmes Blut ihm in den Mund lief, und das schmeckte gut. Dies war Fleisch, wie die Mutter es ihm gab, nur daß es ganz frisch und darum viel besser war. So verzehrte er das Schneehühnchen und hörte nicht eher auf, als bis die ganze Brut verzehrt war. Dann leckte er sich das Mäulchen und schickte sich an, aus dem Busch zu kriechen.
    Da traf er auf einen Wirbelwind in Federn. Der heftige Angriff und die wütenden Flügelschläge der Schneehuhnmutter blendeten und verwirrten ihn. Er steckte den Kopf zwischen die Pfoten und schrie jämmerlich. Die Schneehuhnmutter schlug immer ärger mit den Flügeln, denn sie war in großem Zorn. Da wurde er auch böse. Er hob den Kopf, knurrte und schlug mit der Pfote zu. Seine winzigen Zähnchen ergriffen einen Flügel des Schneehuhns und rissen und zerrten mit aller Macht daran. Das Schneehuhn wehrte sich und schlug mit dem freien Flügel um so heftiger nach ihm. Dies war sein erster Kampf, und das Wölflein war davon begeistert. Es vergaß das Unbekannte, es fürchtete sich vor nichts mehr. Es kämpfte gegen ein lebendiges Wesen, das Fleisch war. Die Lust zu töten regte sich in ihm. Es hatte soeben kleine Wesen vernichtet, nun wollte es ein großes töten. Es war in seinem Eifer ganz glücklich, ohne zu wissen, daß es glücklich sei. Es bebte vor Entzücken über Empfindungen, die ihm ganz neu und so großartig waren, wie es solche nie zuvor gekannt hatte. Es hielt an dem Flügel fest und knurrte durch die zusammengebissenen Zähne. Die Schneehenne schleppte es aus dem Busch. Als sie sich umdrehte, versuchte sie, es wieder ins Gebüsch hineinzuziehen, aber es zerrte sie hinweg und ins Freie. Die ganze Zeit über machte sie einen Höllenlärm und schlug nach ihm mit dem Flügel, so daß die weißen Federn herumstoben. Das Wölflein war in furchtbarer Erregung, das Blut seiner streitbaren Vorfahren kreiste rasch in seinen Adern. Dies war echtes Leben, wenn es sich dessen auch nicht bewußt war. Die Bedeutung der Welt wurde ihm jetzt klar, da es das tat, wofür es geschaffen war, nämlich seine Nahrung zu töten und darum zu kämpfen. Dies war der Endzweck seines Daseins, und indem es das vollbrachte, wozu es da war, erreichte sein

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