Wolfsblut
Leben den Gipfelpunkt.
Nach einer Weile stellte das Schneehuhn den Kampf ein. Das Wölflein hielt immer noch an dem Flügel fest, und beide lagen auf der Erde und schauten einander an. Es versuchte grimmig zu knurren. Da gab ihm jenes mit dem Schnabel einen Hieb auf die Nase, die von den früheren Abenteuern noch schmerzte. Es krümmte sich vor Schmerz, doch hielt es fest, allein das Schneehuhn hieb immer wieder nach ihm. Wieder krümmte es sich und winselte, dabei versuchte es rückwärts auszuweichen, vergaß jedoch, daß es, wenn es festhielt, das Schneehuhn nach sich zöge. Immer dichter hagelten die Hiebe auf seine schmerzende Nase herab. Die Kampfeslust verging ihm, es ließ die Beute fahren, drehte ihr den Rücken und rannte in schmachvollem Rückzuge quer über die Lichtung.
Auf der andern Seite legte es sich am Rande des Gebüsches nieder. Die Zunge hing ihm aus dem Halse, seine Brust hob und senkte sich keuchend, und es winselte, da die Nase noch immer weh tat. Wie es so dalag, überkam es plötzlich das Gefühl, als ob etwas Schreckliches hereinbräche. Das Unbekannte mit all seinen Schrecken stürmte wieder auf das Wölflein ein, und instinktmäßig kroch es in den Schutz des Gebüsches. Da traf es ein heftiger Luftzug, ein großer beschwingter Habicht war vom blauen Himmel herabgestoßen und hatte es nur um Haaresbreite verfehlt.
Während es im Gebüsch lag, sich von dem Schreck erholte und furchtsam umblickte, flatterte das Schneehuhn aus dem verwüsteten Nest gegenüber heraus. Vertieft in seinen Verlust, achtete es nicht auf den beschwingten Pfeil des Himmels. Aber das Wölflein sah alles – und es war ihm eine Lehre und eine Warnung –, es sah das rasche Niedersausen des Habichts, sah, wie er den Boden mit dem Körper streifte, die Fänge in das Schneehuhn schlug, es hörte dessen Schmerzensschrei und sah den Habicht in die blaue Luft emporsteigen und das Schneehuhn mit sich forttragen.
Es dauerte lange, bis das Wölflein sein Versteck verließ. Es hatte viel gelernt. Lebendiges war Beute und schmeckte gut, aber wenn es groß war, konnte es auch Schmerzen verursachen. Darum war es besser, kleine Geschöpfe, wie Schneehuhnjunge, zu verzehren und die großen in Ruhe zu lassen. Dennoch fühlte es den Stachel des Ehrgeizes und den heimlichen Wunsch, noch einmal den Kampf mit dem Schneehuhn zu wagen, nur hatte der Habicht es fortgetragen. Vielleicht aber gab es noch mehr zu erleben. Es wollte hingehen und sehen.
Es kam den sanften Abhang zum Flusse hinunter. Nie zuvor hatte es eine Wasserfläche gesehen. Das sah gut aus zum Gehen, es war glatt und hatte keine Unebenheiten. Es trat kühn darauf, aber sogleich ging es unter und schrie vor Angst, denn von neuem hielt das Unbekannte es umklammert. Das Wasser war kalt, und das Wölflein schnappte keuchend nach Luft, denn statt der Luft, die es sonst geatmet hatte, hatte ihm Wasser die Lungen gefüllt, und es hatte das Gefühl des Erstickens, was doch Tod bedeutete. Zwar kannte es nicht den Tod, aber wie jedes Tier der Wildnis hatte es eine instinktmäßige Furcht vor dem Tode, der der höchste aller Schmerzen war. Denn der Tod war das eigentliche Unbekannte, die Summe all seiner Schrecken, das höchste, gar nicht auszudrückende Unglück, das ihm passieren könnte, wovon es zwar nichts wußte, wovon es aber alles fürchtete.
Es kam wieder an die Oberfläche, und die sanfte Luft strömte ihm in den geöffneten Mund. Es ging nicht wieder unter, sondern wie aus alter Gewohnheit arbeitete es mit allen vieren und schwamm. Das Ufer, von dem es gekommen, war kaum einen Meter weit entfernt, aber es lag hinter ihm, und so schwamm es nach dem gegenüberliegenden, das ihm vor Augen lag. Das Flüßchen war nur schmal, aber es bildete hier ein Becken von etwa zwanzig Fuß Breite.
Mitten im Wasser ergriff es die Strömung und zog es stromabwärts in eine winzige Stromschnelle unterhalb des Beckens. Hier war wenig Aussicht auf Schwimmen, denn das bisher ruhige Wasser wurde auf einmal ganz toll. Es drehte es bald auf den Rücken, bald auf den Bauch, es erhielt es immer in heftiger Bewegung und schleuderte es bald gegen einen Stein, bald gegen einen Felsen, wobei das Wölflein jedesmal kläglich aufschrie. Die ganze Fahrt war eine Reihenfolge solch kläglicher Schreie, was auf eine große Anzahl Steine schließen ließ. Unterhalb der Stromschnelle befand sich wieder ein Becken, und hier wurde es durch die kreisende Bewegung des Wassers ans Ufer getragen und sanft auf
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