Wolfsflüstern (German Edition)
töten, weil sie nicht dagegen ankommt. Gerade in diesem Augenblick …«, er wedelte mit einer knotigen dürren Hand in die Richtung, in die sie verschwunden war, »… lauert sie ihrem ersten Opfer auf.«
»Sie würde niemals …«
»Sie muss. Die Blutgier macht sie wahnsinnig. Das Einzige, was ihr wölfisches Bewusstsein beherrscht, ist der Hunger. Ehe sie nicht getötet und ihn befriedigt hat, existiert für sie nichts anderes.«
Matt rieb sich übers Gesicht. »Sie hat es für mich getan.«
Mandenauer legte Matt eine Hand auf die Schulter. »Erzählen Sie mir alles.«
Der Wolf, der einst Gina O’Neil gewesen war, folgte den Männern. Sie nahm sich in Acht, damit sie es nicht bemerkten.
Der große mit dem langen Stock, der nach Tod und Feuer roch, war gefährlich. Er hätte sie getötet, wäre nicht der andere …
Sie legte den Kopf schräg. Da war etwas an dem anderen, das sie noch mehr beunruhigte als der gefährliche Mann und seine mit Silber geladenen Waffen. Sie hatte ihn töten wollen, hatte mit einer Verzweiflung danach gegiert, die wenig Raum für anderes ließ. Trotzdem hatte sie gezögert und dafür fast mit dem Leben bezahlt. Dieser aufreizende Duft nach Früchten, nach Wärme und nach ihr …
Gina knurrte. Es behagte ihr gar nicht, dass er nach ihr roch. Es verwirrte sie.
Der sich langsam ausbreitende Wahnsinn überlagerte noch nicht alle Sinne. Sie verstand, dass der andere ihr das Leben gerettet hatte. Sie verstand aber nicht, warum.
Der Hunger tobte in ihrem Magen und in ihrem Kopf; es war ein rot glühendes, qualvolles Pulsieren, und wenn sie ihn nicht bald stillte, würde der Schmerz sie zerreißen. Oder war der Umstand, dass sie zerrissen war – in Frau und Wolf – überhaupt die Ursache des Schmerzes?
Der Hunger und die Erinnerungen, die nicht ihre allein waren, gingen einher mit einer Erkenntnis: Beiße, um andere zu deinesgleichen zu machen, friss, töte.
Giii-naaa!
Am Horizont stand ein nackter Mann, dessen bronzefarbene Haut in der neu geborenen Sonne funkelte. Ihr Schöpfer. Er hatte ihr eine vollkommen neue Welt zu Füßen gelegt. Eine, in der sie stärker, schneller, besser war. Sie würde nie wieder gering von sich denken. Von nun an würde sie immer mehr sein als andere.
Gina sprintete zu ihm. Sekunden später stand sie neben ihm auf dem Hügel. Er legte eine Hand auf ihren Kopf, dann deutete er mit der anderen in die Richtung, aus der sie gekommen war. In der Ferne trotteten zwei vertraute Gestalten über das Land.
»Such dir einen aus«, sagte er mit einer Stimme, die nicht mal mehr andeutungsweise an die von Jase McCord erinnerte.
»Lassen Sie uns während des Laufens reden«, schlug Mandenauer vor.
»Wohin laufen wir?«, fragte Matt, obwohl sie sich bereits in Bewegung gesetzt hatten.
»Sie müssen mir die Kaverne zeigen, in der diese Bestie eingesperrt war.«
»Warum?«
»Dazu kommen wir, sobald wir dort sind.«
»Es ist ziemlich weit«, warnte Matt ihn. Falls er ihre Position und damit die Entfernung zur Grabkammer richtig einschätzte, könnten sie Tage brauchen. Und nachdem sich hier ein Rudel Werwölfe herumtrieb … »Wir sollten lieber zur Ranch zurückkehren und …«
»Nicht nötig.« Mandenauer zeigte zum Horizont.
Matt blinzelte. »Ist das ein Auto?«
»Was meinen Sie, wie ich hierhergekommen bin?«
Matt hatte keinen Gedanken daran verschwendet. Ihm war zu viel anderes durch den Kopf gegangen.
»Damit schaffen wir es nicht bis ganz dorthin.«
Der alte Mann tat das mit einem Achselzucken ab. »Es wird uns gutes Stück näher bringen.«
Sie erreichten den Wagen, der sich als gedrungener alter Mercedes entpuppte. Ein SUV, ein Hummer oder sogar ein Panzer wäre geeigneter gewesen, aber immerhin hatte das Ding vier Räder. Sobald sie eingestiegen waren, gab Matt Mandenauer eine Wegbeschreibung, dann lehnte er sich zurück. Er konnte ein Nickerchen vertragen, aber diese Verschnaufpause war ihm nicht vergönnt, denn Edward forderte ihn auf: »Erzählen Sie mir, was seit unserem Telefonat passiert ist.«
Matt brauchte viel länger, als er gedacht hätte. Als er endlich zum Schluss kam, hatten sie das Ende der Straße erreicht.
»Hält Wolfs-Eisenhut Werwölfe fern?«, erkundigte er sich.
»Manchmal.« Mandenauers knochige Finger stellten den Motor ab. »Das kommt auf den Werwolf an. Seit der Nahual von Jase McCord Besitz ergriffen hat, dürfte ihn Wolfs-Eisenhut nicht mehr tangieren. So eine Besessenheit ist eine seltsame Sache. Die zwei wurden
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