Wolfsflüstern (German Edition)
versuchte, sich an ihm vorbeizudrängen.
Der Nahual grapschte nach ihrem Ellbogen. »Ich habe lediglich gesagt, dass ich ihn nicht töte .« Seine Augen begannen zu glitzern. »Allerdings habe ich dabei nicht von dir gesprochen.«
»Wa-was?«
»Das Erste, was du nach deiner Verwandlung tun musst, ist …« Sein Lächeln war entsetzlich; seine Zähne wurden zu Fängen und entstellten dieses vertraute Gesicht fast bis zur Unkenntlichkeit. »Töten.«
»Das werde ich nicht«, versicherte sie. »Nicht ihn.«
Jetzt war das Lachen des Nahuale echt. »Du glaubst, dass es dich dann noch kümmert? Er ist Fleisch. Rennendes Fleisch, wenn er aufwacht.« Seine Stirn, die gerade noch entspannt gewesen war, kräuselte sich. »Wahrscheinlich hätte ich ihn nicht bewusstlos schlagen sollen. Es ist besser, wenn sie weglaufen.«
»Ich liebe ihn.« Gina hatte gewollt, dass die Worte fest und selbstsicher klangen, doch dafür zitterte ihre Stimme zu sehr.
»Liebe bedeutet einem Monster nichts.«
Das Wesen, das in Jases Körper wohnte, warf den Kopf zurück und heulte.
»Teo!«, schrie Gina. »Wach auf!«
Der Nahual ließ sie los. Es war ein schwieriges Unterfangen, jemanden festzuhalten, wenn man Pfoten anstelle von Händen hatte.
Er ließ sich auf alle viere sinken, als dunkle Haare aus jeder Pore sprossen. Finger und Zehen wurden zu Krallen; Nase und Mund verschmolzen zu einer Schnauze. Das Knirschen und Knacken, das Schnalzen von Knochen zerriss wie Feuerwerkskörper die stille silbrige Nacht.
Gina war zu nichts anderem imstande als zuzusehen. Wozu wegrennen? Diese Bestie würde sie einfangen, und auf keinen Fall würde sie Teo allein und bewusstlos hier zurücklassen.
Ganz gleich, was der Nahual behauptete, sie musste sich an dem Glauben festklammern, dass ihre Liebe die bevorstehende Verwandlung überstehen würde. Dieser Glaube und diese Liebe könnten das Einzige sein, was von ihr übrig bliebe.
Der Mann war fast vollständig zum Tier geworden; es fehlte nur noch der Schweif, der sich einer hinterhältigen Schlange gleich als Letztes aus dem glänzenden schwarzen Wolf, der einst Jase McCord gewesen war, herauswand.
Gina kreischte, als die Kreatur die Fangzähne in ihren Oberschenkel schlug. Es sollte nicht so schrecklich wehtun. Sie war schon von Pferden gebissen worden. Die hatten viel größere Zähne. Doch die des Werwolfs fühlten sich wie rotglühende Nägel an; sie stellte sich vor, dass schon das erste Gift durch ihre Venen sickerte.
Der Nahual ließ von ihr ab, dann hockte er sich mit geöffnetem Maul und heraushängender Zunge, sodass er aussah, als würde er grinsen, auf die Hinterläufe, um sie zu beobachten. Gina wollte dem Biest einen Tritt gegen den Kopf verpassen, aber sie konnte keinen Finger rühren, geschweige denn das Bein. Ihr Körper fühlte sich unsagbar schwer an.
Sie plumpste wie ein Mehlsack zu Boden. Der Himmel über ihr war ein Kaleidoskop aus Sternen, die so viel heller funkelten als normal. Der Mond rief nach ihr; sie verzehrte sich nach seinem Glanz. Das silbrige Licht kühlte ihre brennende Haut.
Ihre Zähne juckten. Sie schaffte es, die Hand zu heben und sie zu betasten. Sie waren definitiv länger und spitzer als zuvor. Als sie den Arm senkte, fiel ihr Blick auf ihre Fingernägel. Auch die waren länger und spitzer.
Plötzlich löste sich ihre Umgebung auf, und sie rannte durch einen Wald voller Bäume, die hier nicht heimisch waren; er war dicht und kühl und von einem weichen Moosteppich bedeckt, den sie unter ihren Pfoten spürte. Sie jagte etwas Großes und Schmackhaftes, etwas, das roch wie …
Ted .
Gina kehrte mit einem Ruck in die Realität zurück … Was zur Hölle war das gewesen?
Eine Illusion? Eine Halluzination? Ein Fiebertraum? Tatsächlich fühlte sich ihre Haut so fürchterlich heiß an, als würde sie jeden Moment aufplatzen.
Ganz sicher war es keine Erinnerung gewesen. Auch wenn sie wie eine gewirkt hatte.
Und wer zum Teufel war Ted?
Ihre Sinne verschärften sich. Sie hörte Erdpartikel davonstieben, als sie sich bewegte, roch ihr eigenes Blut im Atem des Nahual, der sie noch immer beobachtete, seine Augen so hell, dass sie davon Kopfweh bekam.
Gina senkte den Blick und bemerkte die mahagonifarbenen Haare, die auf ihrem Arm wucherten.
Zack .
Wieder wurde sie aus ihrem Körper gerissen. Dieses Mal jagte sie über vertrautes Terrain, vorbei an dem knorrigen Baum und dem Ort, wo ihre Eltern gestorben waren. Ein Stück vor ihr spazierten zwei blonde
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