Wolfsgesang - Handeland, L: Wolfsgesang
„Besonders bei dir.“
„Wieso besonders bei mir?“
„Auch wenn mir das Leben nicht viel bedeutet hat, wollte ich trotzdem nicht sterben. Es sind noch zu viele übrig, die ich töten muss.“
Ich kannte diese Regung von mir selbst. Dass wir gleich dachten, beunruhigte mich. Ich nahm das Gewehr von seinem Hals. „Geh zurück.“
Das tat er, allerdings nicht weit genug. Im Moment würde Venezuela nicht weit genug sein.
Ich setzte mich hin. Meine Beine wollten mich nicht länger tragen.
Werwölfe haben böse Herzen und sind vom Teufel besessen. Sie würden ihre eigene Mutter töten. Zu lügen, wäre für sie ein Kinderspiel. Ich durfte nichts von dem glauben, was Damien mir erzählt hatte.
Warum wollte ich es dann?
31
Weil ich erbärmlich und bedürftig war. Ich sehnte mich nach Liebe. Ich brauchte Sex. Erbärmlich. Seht ihr?
Mein Handy klingelt e – der Ton war schrill in der plötzlichen Stille. Wir schraken beide zusammen. Ich stand auf, um ranzugehen. Damien war so nah, dass ich ihn zurückstieß, als ich an ihm vorbeiging, und er ließ mich gewähren.
Wenn er wirklich ein großer, böser Werwolf wäre, hätte er mich dann nicht längst getötet? Warum warten? Um keine Hektik aufkommen zu lassen?
Ich klammerte mich an Strohhalme, und ich wusste es.
„Hallo?“
„ Liebchen .“
Froh, Edwards Stimme zu hören, drückte ich das Handy fester an mein Ohr. Mein Blick traf auf Damiens, und ich zögerte. Ich wusste, was Edward von mir erwarten würde, aber das konnte ich nicht tun. Jetzt noch nicht.
„Ich habe Ihre Nachricht erhalten“, fuhr er fort. „Irgendwelche neuen Informationen für mich?“
„Waren es nicht genug?“, fragte ich.
„Ich würde sagen, nein. Diese Indianeri n – “
Edward – wie immer politisch inkorrek t. A ber was konnte man von einem über achtzigjährigen, ehemaligen Spion schon erwarten?
„Ihre Informationen waren interessant, aber wir wissen immer noch nicht, was der Kraftverzehrer für die Nacht des Jagdmonds plant. Oder wo ihr Versteck ist.“
„Haben Sie dazu irgendwelche Tipps?“
„Halten Sie nach einem Versammlungsort Ausschau. Der einsam und geschützt liegt.“
„Hab ich schon gemacht. Und nichts gefunden.“
„Ich kann Ihnen nicht helfen, Leigh. Ich bin hier; Sie sind dort. Machen Sie Ihren Job.“
„Warum kommen Sie nicht und helfen mir?“, platzte ich heraus und wünschte mir sofort, es nicht getan zu haben.
Edward mochte aussehen wie irgendein Urgroßvater, aber der Schein trog. Er würde nicht zögern, Damien das Gehirn wegzupusten. Dann auf den Überresten herumstampfen und sie in die Erde trampeln, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Bis vor Kurzem war ich auch so gewesen. Aber jetzt war ich das nicht mehr und fühlte mich deshalb haltlos und einsam.
„Ich kann nicht“, erwiderte er.
Ich runzelte die Stirn. Das behauptete Edward schon seit meiner Ankunft in Crow Valley. Es sah ihm gar nicht ähnlich, sich von der Front fernzuhalten. „Warum nicht?“
„Sie sind für diese Aufgabe ausgebildet worden. Sie brauchen mich nicht.“
Er klang kurz angebunden und verärgert. Irgendetwas stimmte nicht, aber ich kannte Edward gut genug, um zu wissen, dass er mir nicht verraten würde, was es war.
„Haben Sie diesen seltsamen Stollen mit den menschlichen Überresten weiter untersucht? Ich habe noch nie von so etwas gehört.“
Was nichts Gutes bedeuten konnte.
„Ich war nicht noch mal da. Wonach sollte ich denn Ausschau halten?“
„Ich habe nicht die leiseste Ahnung.“
Und das von einem Mann, der alles wusste.
Ich ließ Damien nicht aus den Augen, während ich mit Edward sprach. Er stand gegen die Wand gelehnt und starrte zu mir zurück. Seine eigentümlichen, wandelbaren, ungerührt dreinblickenden Augen hätten mich nervös machen müssen. Stattdessen machten sie mich scharf. Ich war sogar noch verrückter, als ich gedacht hatte.
Warum hatte ich Damiens Augen nicht in denen des braunen Wolfs wiedererkannt? Ich hatte Hector als Wolf gesehen und auf den ersten Blick gewusst, wer er war. Bei Damie n … nicht so wirklich.
Seine Augen waren seltsa m – sie veränderten sich mit dem Licht und seiner Kleidung. Trotzdem hätte ich es erkennen müssen. Es sein denn, dass ich die Wahrheit nicht hatte sehen wollen.
Am anderen Ende der Leitung murmelte Edward gerade irgendetwas.
„Wie bitte?“
„Ich muss jetzt auflegen, Leigh.“
Und das tat er. Einfach so.
„Und was jetzt?“, wollte Damien wissen.
Gute Frage. Was
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