Wolfsgesang - Handeland, L: Wolfsgesang
Werwolf griff an. Der braune wartete und duckte sich dabei, als würde er kapitulieren, dann sprang er nach oben und riss der größeren Bestie mit einem einzigen brutalen Ruck die Kehle raus. Ich musste seine Technik einfach bewundern.
Das verletzte Tier machte ein paar Schritte, so als wollte es weglaufen, um sich zu verstecken, vielleicht zu heilen, aber es war zu spät. Es krümmte sich zusammen und war tot, noch bevor es auf dem Boden aufkam. Der braune Wolf lief zu seiner Beute rüber, ohne dabei auch nur ansatzweise zu hinken.
„Schlauer Bursche“, murmelte ich.
Er sah auf und legte den Kopf zur Seite. Ich hob das Gewehr und zielte genau zwischen seine Augen. Ich konnte ihre Farbe nicht erkennen. Die Nacht war zu dunkel, der Mondschein zu schwach, der Wald zu dicht. Aber es waren menschliche Augen. Das war alles, was ich wusste. Das war alles, was ich wissen musste.
Ich dachte an Jimmy, an meine Schwester, meinen Bruder, meine Eltern. Ich erinnerte mich an andere Menschen, die die Werwölfe getötet, andere Orte, an denen sie gewütet hatten. Der Hass, de r – bei Tag wie bei Nach t – in mir gärte, loderte auf, und mein Finger spannte sich um den Abzug.
Der Wolf starrte mich weiterhin an. Er machte keine Anstalten, wegzulaufen. Ich hätte schwören können, dass er mich stumm anflehte, es zu tun. Deshalb zögerte ich und rief mir ins Gedächtnis, was Cadotte gesagt hatte.
Was, wenn sie es in Wirklichkeit darauf anlegen, dass man sie tötet?
„Mist.“
Wenn die Werwölfe das wollten, dann tat ich es ganz bestimmt nicht.
Ich nahm das Gewehr runter. Der Wolf fletschte die Zähne; seine Nackenhaare waren aufgestellt. Irgendwas lief hier absolut falsch.
Werwölfe gierten nach menschlichem Blut. Sie töteten sich nicht untereinander. Was war also mit diesem hier los?
Könnte er etwas anderes sein als ein Werwolf? Ich hatte als Jägersucher schon eine Menge gesehen. Edward sogar noch mehr. Jeden Tag erwachten auf verblüffende Weise neue Monster zum Lebe n – einer der Gründe, weshalb Edward weniger jagte und mehr im Büro blieb. Das Unternehmen, das er nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet hatte, florierte beständig.
Ich musterte den braunen Wolf, während ich meine Optionen abwägte. Ein Monster war ein Monster, oder nicht? Bloß weil ich Werwölfe tötete, bedeutete das nicht, dass ich nicht auch etwas anderes töten konnte. Bezeichnet es von mir aus als einen Freibrief.
Aber ich konnte mich nicht dazu überwinden, den Wolf zu erschießen. Ich weiß nicht genau, warum. Das Blutbad dieser Nacht kümmerte mich nicht. Ich hatte schon eine Menge mehr gesehen, war auch selbst schon oft genug die Ursache gewesen.
Um ganz ehrlich zu sein, waren die Kugeln und das Blut beglückend. Neun Punkte für die Guten. Bloß, dass nur acht davon meine waren.
Ich hasste es, eine derart perfekte Tötungsmaschine zu zerstören. Vor allem, nachdem sie auf meiner Seite zu stehen schien.
„Na schön“, sagte ich. „Dann streng dich mal an. Töte, so viele du kannst.“
Der Wolf legte wieder auf diese hündische Weise den Kopf zur Seite. Dumm nur, dass seine Schnauze rot vor Blut war. Wenn ich so einen Hund sehen würde, würde es mir eiskalt den Rücken runterlaufen. Tatsächlich tat es das auch so.
Anstatt zu warten, bis er weglief, um dann, wie ich es hätte tun sollen, die Wölfe zu verbrennen, schnappte ich mir mein Gewehr und machte mic h – zügiger, als ich gekommen wa r – auf den Rückweg zur Bar.
Es widersprach meinem Wesen, einen von ihnen am Leben zu lassen, aber ich konnte ihn immer noch später töten, wie ich mir wieder und wieder versicherte, während ich darauf wartete, dass die Sonne hinter den Bäumen aufstieg.
8
Jemand hämmerte gegen die Tür und rief dabei meinen Namen. Ich sah zu meinem Reisewecker.
Zwölf Uhr mittags. Ich hatte verschlafen.
Ich schleppte mich aus dem Bett und durch das Zimmer, schaute aus dem Fenster und öffnete das Türschloss. Jessie stürmte hinein.
„Ich hab Sie aufgeweckt“, sagte sie.
„Wie kommen Sie darauf?“
„Vielleicht wegen Ihrem hübschen nackten Arsch?“
Ich sah nach unten. Ups. Offenbar hatte ich mich komplett ausgezogen, statt meine Unterwäsche anzubehalten, wie ich es sonst in einer fremden, neuen Umgebung für gewöhnlich tat.
Da ich kein eigenes Zuhause hatte, waren für mich alle Umgebungen fremd, und da ich den Wölfen folgte, die meisten außerdem auch neu. Es passierte mir nicht oft, dass ich nackt schlief. Etwa genauso oft
Weitere Kostenlose Bücher