Wolfsherz
vorwärts. Er taumelte, halb in die Trümmer der zerborstenen Tür verheddert, gegen das Bett, fing den begonnenen Sturz ungeschickt ab und wirbelte herum.
Und die Welt wurde zu einem Alptraum.
Eva lag auf dem breiten Bett. Sie sah unendlich klein und verloren aus. Ihre Augen waren weit geöffnet, aber sie war trotzdem nicht wach. Ihr Genick war gebrochen.
Im allerersten Moment konnte er Rebecca nirgendwo entdecken. Aber der Kampflärm hielt an: ein wütendes Knurren und Geifern, das Bersten von Glas und dumpfe Schläge und Hiebe und ein fürchterliches Reißen und Gurgeln, das durch die offene Badezimmertür drang. Stefan stolperte in diese Richtung, prallte gegen den Türrahmen und sah ein unentwirrbares Toben von Schatten vor sich. Klebriger Blutgeruch schlug ihm wie eine nasse warme Hand entgegen.
Er tastete blind um sich, brauchte eine endlose, quälende Sekunde, um den Lichtschalter zu finden, und betätigte ihn. Weißes Neonlicht flackerte zweimal unter der Decke und erfüllte den Raum dann mit schattenloser Helligkeit. Aus dem Alptraum wurde etwas anderes, namenlos Schlimmeres.
Rebecca war halbwegs in die Duschkabine gestürzt. Die gläserne Trennwand war zerborsten, und das weiße Porzellan war voller Blut.
Ein riesiger, schneeweißer Wolf stand über ihr, hatte seine Zähne in ihre Schulter gegraben und schüttelte sie so wild, daß ihre Glieder hin und her flogen. Wenn sie sich überhaupt gewehrt hatte, so hatte sie ihren Widerstand längst aufgegeben. Trotzdem ließ der Wolf nicht von ihr ab. Rebecca blutete aus mehr als einem halben Dutzend furchtbaren Wunden, aber das weiße Ungeheuer biß immer und immer wieder zu.
Unten im Haus fielen Schüsse, dann gellten Schreie auf, drei, vier Stimmen, die durcheinanderbrüllten. Irgend etwas explodierte, und der Lärm riß Stefan endlich aus seiner Erstarrung. Mit einem gewaltigen Satz warf er sich vor, riß den Wolf von seinem Opfer herunter. Das Tier jaulte schrill, zweifellos mehr vor Überraschung als vor Schmerz, und Stefan riß es mit noch größerer Kraft in die Höhe und herum und schmetterte es mit furchtbarer Gewalt gegen die geflieste Wand neben der Tür. Der Wolf sank winselnd in sich zusammen, und Stefan fuhr auf der Stelle wieder herum und beugte sich über Rebecca.
Sie war herumgerollt, als er den Wolf von ihr heruntergezerrt hatte, und lag mit dem Gesicht nach unten in der Duschtasse, in der sich hellrotgefärbtes Wasser angesammelt hatte. Nicht viel; vielleicht drei oder vier Zentimeter, aber mehr als genug zum Ertrinken, wenn man bewußtlos war und versuchte, Wasser zu atmen.
Stefan ergriff sie bei den Schultern und zerrte sie so hastig herum, daß sie mit dem Kopf gegen die Metallkante der Duschabtrennung stieß und das Glas einen weiteren Sprung bekam.
Sie gab keinen Laut von sich, auch nicht, als Stefan sie erneut bei den Schultern ergriff und so heftig schüttelte, daß ihr Kopf hin und her rollte.
Sie war tot.
Der Wolf hatte ihr die Kehle durchgebissen.
Stefan schrie gellend auf, riß sie an den Schultern in die Höhe und preßte sie mit aller Kraft an sich, so fest, daß es ihr den Atem abgeschnürt hätte - hätte sie noch geatmet. Immer wieder schrie er ihren Namen. Er wußte, daß sie nicht mehr antworten konnte, nie mehr. Die Unsterblichkeit hatte nicht sehr lange gewährt. Rebeccas Blut lief klebrig und warm an seiner Brust herab, aber der Körper, den er in den Armen hielt, begann bereits zu erkalten. Trotzdem konnte er nicht aufhören, ihren Namen zu rufen, immer und immer und immer wieder, und er wartete darauf, daß sie im nächsten Moment die Augen öffnen und einen ersten, schweren Atemzug tun würde.
Aber das geschah nicht. Ihr Tod war endgültig.
Statt dessen hörte Stefan plötzlich ein drohendes Knurren, und als er sich umdrehte, blickte er genau ins Gesicht des weißen Wolfs. Sein Fell war besudelt mit Rebeccas Blut, und in seinen Augen glitzerte eine spöttische Herausforderung.
Der Wolf sprang ihn an. In der Enge des kleinen Badezimmers hatte er nicht die Möglichkeit, richtig Schwung zu holen, so daß er Stefan mehr umschubste, als er ihn stieß, aber andererseits hatte Stefan auch kaum den Platz, sich zu wehren. Er prallte gegen den Badewannenrand, brachte es irgendwie fertig, nicht hinzufallen - was wohl sein sicherer Tod gewesen wäre -und stolperte, rückwärts gehend, vor dem Wolf davon. Es war ihm gelungen, einen Arm zwischen sich und die Bestie zu schieben. Die andere Hand krallte er, so fest er
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