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Wolfsherz

Wolfsherz

Titel: Wolfsherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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spät.
    Das Sirenengeheul war mittlerweile deutlich näher gekommen, und dahinter glaubte er bereits ein zweites und drittes Martinshorn zu hören. Offensichtlich hatten die Nachbarn endlich reagiert und die Polizei gerufen. Stefan schätzte, daß der Wagen in längstens zwei oder drei Minuten hier sein mußte. Nicht mehr genug Zeit für die Russen, um einen zweiten Sturmangriff zu riskieren. Wenn Barkow auch nur einen Funken Verstand hatte, dann nahm er das, was von seinem Stoßtrupp noch übrig war, und machte, daß er wegkam.
    »Bleiben Sie unten«, sagte er zu Dorn, erhob sich selbst auf Hände und Knie und kroch zum Fenster. Der Mann, den er hinausgestoßen hatte, war nicht mehr da. Vielleicht hatten die Wölfe ihn erwischt, wahrscheinlicher aber war, daß er das Bewußtsein zurückerlangt und sich in Sicherheit gebracht hatte. Stefan hofft es fast. Es waren schon entschieden zu viele gestorben.
    Er warf noch einen letzten, sichernden Blick in den Garten hinaus, dann drehte er sich in der Hocke herum und huschte zu Robert hinüber. Sein Schwager hatte sich in Deckung der zerschossenen Ledercouch aufgesetzt und das rechte Bein gerade ausgestreckt. Er zitterte am ganzen Leib, und Stefan hätte nicht die Sinne eines Raubtiers gebraucht, um zu riechen, daß er die Hosen voll hatte. Der Gedanke bereitete ihm jetzt sowenig Vergnügen wie vorhin. Robert war so unwichtig geworden, daß er nicht einmal mehr Verachtung für ihn empfand.
    »Ich sehe nach Matt«, verkündete White. »Irgendwas stimmt nicht. Er hätte längst hiersein müssen.«
    Stefan hatte eine ziemlich konkrete Vorstellung davon, was mit Whites Mann »nicht stimmte«. Die Wölfe hatten ihn verschont, weil er zur Sippe gehörte, aber das galt nicht für Matt. Außerdem spürte er, daß hinter der Tür, auf die White deutete, nichts Lebendes mehr war.
    Trotzdem nickte er. Während White geduckt und im Zickzack durch das Zimmer lief, ließ er sich neben Robert vollends auf die Knie fallen, sah sich eine halbe Sekunde lang suchend um und öffnete schließlich Roberts Gürtelschnalle. Sein Schwager stöhnte vor Schmerz, versuchte aber trotzdem nicht, seine Hände abzuwehren, sondern half ihm im Gegenteil, den Gürtel herauszuziehen, was Stefan für einen Moment mit einem absurden Gefühl von Enttäuschung erfüllte. Trotz allem wäre es ihm lieber gewesen, wenn sich Robert endgültig in einen wimmernden Feigling verwandelt hätte.
    So gut es ging, band er Roberts Bein mit Hilfe des Gürtels ab. Die Wunde blutete weiter, aber nicht mehr annähernd so stark wie bisher. Robert würde wahrscheinlich das Bein verlieren, aber überleben.
    »Keine Sorge«, sagte er. »Du kommst durch. Die Kavallerie ist schon unterwegs - hörst du?«
    Das Sirenengeräusch war jetzt ganz nahe; vielleicht noch eine Minute entfernt, vielleicht weniger. Stefan spähte behutsam über die Lehne und sah, daß der Wagen der Russen noch immer auf der anderen Straßenseite stand. Wahrscheinlich waren sie zu Fuß geflohen.
    Robert wimmerte wieder, diesmal aber nicht vor Schmerz. In seinen Augen flackerte schwarze Panik, als er Stefan anstarrte. »Was... was ist das? Was ist mit dir passiert?«
    »Ich bin in Ordnung«, antwortete Stefan, aber Robert schüttelte heftig den Kopf. Seine Stimme wurde mit jedem Wort schriller.
    »Du... du bist getroffen worden!« stammelte er. »Ich habe es genau gesehen.« »Das war nur ein Streifschuß, und -«
    »Und dein Gesicht!« keuchte Robert. »Es war zerschnitten! Ich habe es genau gesehen! Du bist in das Glas gefallen!« So schnell, daß Stefan der Bewegung nicht mehr ausweichen konnte, hob er die Hand und krallte die Fingernägel schmerzhaft über Stefans Wangen. »Da ist nichts!« kreischte er. »Nichts! Wer bist du?!«
    Stefan schlug seine Hand zur Seite. Natürlich war der Schnitt in seiner Wange verschwunden. Er hatte ihn längst vergessen.
    Robert jedoch nicht. Er sabberte immer heftiger, und Stefan roch, daß er sich vor lauter Angst nun auch noch vollpinkelte. Sein Schwager war dabei, buchstäblich vor Angst verrückt zu werden.
    »Was bist du?« wimmerte Robert immer wieder. »Was .. . was ist hier los?
Was bist du?«
    »Beruhige dich«, sagte Stefan. »Ich erkläre dir alles. Später. Jetzt sorgen wir erst einmal dafür, daß du am Leben bleibst.«
    Es war eine Lüge. Es würde kein Später für sie geben; wenigstens nicht für Rebecca und ihn. Aber jetzt war nicht die Zeit, Robert etwas zu erklären, das er selber noch nicht verstand. Und auch

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