Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder
verbarg sich, was sie suchte. Ein elegantes Werkzeug mit starken und zähen Lithium-Ionen-Akkus. Der Griff sah einladend aus, und sie sehnte sich danach, ihn in ihrer Hand zu halten, ihren Arm mit einer rotierenden, scharfen Spitze zu verlängern.
Sie rief den Verteiler mit den Mail-Adressen der anderen Mädchen auf und schickte ihnen die Produktinformationen und eine Liste mit Geschäften, wo man die Maschine kaufen konnte. Andere Waffen und Werkzeuge blieben den individuellen Vorlieben überlassen, aber ihre Klauen sollten identisch sein.
Aus dem Sonntag war der Montag geworden, während sie am Computer gesessen und das Gerät herausgesucht hatte, mit dessen Hilfe sie sich endgültig aus dem Leben verabschiedenwürden, in das sie ungebeten eingesperrt worden waren. Vor ihrem Fenster stand der Mond hoch am Himmel, und bald würde sie verschwunden sein.
Das Jucken in ihrem Körper gab ihr keine Ruhe. Sie ging hin und her auf dem Streifen Mondlicht, der auf den Boden fiel, und dachte an ihre Mama und ihren Papa, die in ihrem Bett lagen und schliefen, dachte an die Bohrmaschine, dachte an die Axt im Keller. Das Einzige, was sie zurückhielt, war die Befürchtung, dass sie damit eine Kette von Ereignissen in Gang setzen würde, die sie daran hindern könnte, am Dienstag dabei zu sein.
Es kribbelte in ihren Fingern, es brannte unter ihren Füßen, und sie keuchte wie ein verhungerndes Tier, als sie sich zwang, mit dem Umherwandern aufzuhören, weil sie damit das ganze Haus wecken könnte, ein Klopfen an der Tür, und jemand käme herein, und ausgerechnet diese Nacht würde in einer Katastrophe enden.
Sie setzte sich auf das Bett und tat etwas, das sie seit vielen Monaten nicht mehr getan hatte: Sie nahm ihre Medizin. Drei Tabletten stopfte sie in sich hinein und schluckte sie trocken herunter. Dann blieb sie still mit den Händen im Schoß sitzen und atmete, wartete darauf, dass etwas passieren würde.
Als sich nach einer halben Stunde noch keine Veränderung offenbart hatte und es weiter so in ihr zog und zerrte wie zuvor, setzte sie sich an den Rechner und schrieb einen Brief. Sie benutzte Theres’ Sprache, weil sie die Möglichkeit bot, die Gedanken zu sammeln und zusammenzufassen. Als der Brief fertig war, druckte sie ihn in vier Exemplaren aus, steckte sie in Umschläge und versah sie mit Adressen, die sie im Internet herausgesucht hatte.
Dann stellte sie sich ans Fenster und betrachtete den Mond, umarmte sich selbst und versuchte die Nacht zu überleben.
Am Montag nahm sie den Bus nach Rimsta und kaufte von ihren letzten Ersparnissen die auserwählte Bohrmaschine bei Järnia. Auf der Fahrt zurück umarmte sie den Karton, als wäreer ein Rettungsring, und sobald sie zu Hause war, packte sie die Maschine aus und stellte sie ins Ladegerät.
Sie plante und visualisierte, versuchte sich in die Situation hineinzudenken. Sie schaute sich Ausschnitte vom Skansen-Festival im Internet an, um zu sehen, wie das Publikum organisiert war, der große Baum in der Mitte, wo sich die Kameras befanden. Sie hatte Angst.
Angst davor, den Mut zu verlieren, wenn es ernst wurde, Angst davor, ihre Chance verpassen zu können, weil sie feige war und den menschlichen Rücksichtnahmen erlag, die noch irgendwo in ihr steckten und sich an ihr rieben.
Am Abend rief Johannes an.
Die Stimmen ihrer Eltern und ihrer Brüder waren zu bedeutungslosen Hintergrundgeräuschen reduziert worden, ganz gleich, ob sie mit ihr sprachen oder nicht. Sie hatte nichts mit ihnen zu tun. Wie konnte es dann sein, dass Johannes’ Stimme immer noch zu hören war?
»Hallo, Teresa.«
Teresa . Dieser Name. Doch, sie erinnerte sich daran, wusste, dass er auf irgendeine Weise sie meinte. Ja. Als Johannes ihn sagte, konnte sie sich an dieses andere Mädchen erinnern. Vor Theres, vor »Flieg«, vor Max Hansen und vor Urd. Das arme kleine Mädchen Teresa mit ihren armen kleinen Gedichten und ihrem armen kleinen Leben.
Sie sprach mit Teresas Stimme. Sie war immer noch da. Es war in gewisser Hinsicht angenehm, mit dieser Stimme zu sprechen. Teresa litt nicht an diesem reißenden Hunger, Teresa hatte kein blutiges Handwerk zu verrichten. Teresa war Johannes’ Freundin und würde es immer bleiben.
»Hallo, Johannes.«
Sie legte sich auf das Bett, hielt den Hörer ans Ohr, schloss die Augen und führte ein vollkommen normales Gespräch mit Johannes. Sie unterhielten sich über Agnes, über Leute aus der Schule und den Umbau der Bibliothek. Teresa tat für eine
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