Wolfskinder - Lindqvist, J: Wolfskinder - Lilla stjärna: Wolfskinder
war nicht mehr nur ihr Name. Sie war sie.
9
Teresa wachte am Montagmorgen um sechs Uhr in ihrem Bett auf und fühlte sich wie ein Kalb vor dem Weidegang. Die Tore des Stalls waren nach dem langen Winter aufgeschlagen worden, und vor ihr lagen das Grün, die Blumen und der helle Sommer. Es gab ein Wort dafür: ungestüm . Als sie hellwach an ihrem Fenster stand und über den Garten schaute, war sie ungestüm, und nicht nur ihre Beine, sondern ihr ganzer Körper war voller Bewegungsdrang.
Als das Haus eine Stunde später aufzuwachen begann, legte sie sich auf ihr Bett und spielte halbtot. Sie rieb sich lange und fest die Augen, um ihnen ein gebrochenes Aussehen zu geben, und als Maria hereinkam, erklärte Teresa, dass sie sich dreckig fühlte und nicht aufstehen konnte, gar nichts konnte. Das wurde mit einem Seufzen und einem Achselzucken akzeptiert, und Teresa wurde in Ruhe gelassen.
Es war wie in diesem Gedicht von Bob Hansson, das sie vor einem guten Jahr einmal gelesen hatte. Der Mann ruft auf der Arbeit an und erklärt, dass er nicht kommen kann. Warum? Ist er krank? Nein, er ist sogar sehr gesund. Er kommt vielleicht am nächsten Tag, falls er sich wieder schlechter fühlt.
Sie lag unruhig im Bett und wartete ungeduldig darauf, dass die anderen sich endlich auf den Weg zur Arbeit oder zu ihren Freunden machten, damit sie allein sein konnte. Als sich das Haus schließlich geleert hatte, stand sie auf. Als Erstes ging sie nach unten in die Küche und schenkte sich ein Glas Wasser ein.
Sie saß eine lange Zeit vor dem Glas und betrachtete diedurchsichtige Flüssigkeit, genoss das Tanzen der reflektierten Sonnenstrahlen auf der Oberfläche und das Spiel der Farben auf der Tischdecke, wenn sie das Glas anwinkelte und Brechungen des Lichts erzeugte. Dann hob sie das Glas an die Lippen.
Ein Schaudern durchfuhr sie, als das Wasser in ihren Mund glitt. Es war weich und kühl und glitt wie ein Streicheln über ihre Zunge und ihren Gaumen. Und dann wird behauptet, dass Wasser nach nichts schmeckt! Es schmeckte nach Erde und Eisen und Gras. Süß und salzig in dünnen Schichten, und es schmeckte nach Tiefe und Ewigkeit. Als sie den Schluck die Kehle hinunterrinnen ließ, war es wie eine große Gabe, von dieser Kostbarkeit probieren zu dürfen. Und es waren noch so viele Schlucke übrig.
Sie brauchte fünf Minuten, um das Wasser auszutrinken, und als sie anschließend auf das Grundstück hinausging, wurde sie angesichts der Eindrücke von einer solchen Freude übermannt, dass sie sich für eine Weile auf die Treppe setzen musste, die Augen schloss und die Ohren zuhielt und sich auf die Düfte konzentrierte, die Düfte des frühen Sommers.
Dass der Mensch über die Erde gehen und nicht wahrnehmen kann, was ihn umgibt. Welche Verschwendung! Sie könnten genauso gut Roboter sein, seelenlose Automaten, die zwischen Arbeit, Bank, Geschäften, Fernsehen hin und her klapperten, bis die Batterie leer war.
Teresa war genauso gewesen, aber dieser Mensch lag mittlerweile verschrumpelt in einem Grab. Sie war eine Göttin und spürte mit den Sinnen einer Göttin. Sie war Urd, die Ursprüngliche.
So verging ihr Tag. Sie wanderte durch den Waldstreifen, strich vorsichtig über Blätter und Steine und ging wie Eva durch das Paradies, wissend, dass alles ihr gehörte und dass alles gut war.
Auch am Dienstag erwachte sie glücklich, und ein weiterer Tag verflog in einer Freude und einer Gegenwart, die ihre Brust zusprengen drohten, hätte sie sie nicht in handliche Stücke portioniert, immer nur ein paar Sinne auf einmal. Am Abend begann das Gefühl langsam von ihr wegzugleiten.
Sie hörte wieder die Stimmen ihrer Eltern und ihrer Brüder. Sie waren natürlich nicht mehr ihre Eltern oder Brüder, ihre Familie bestand aus dreizehn Personen, die nicht anwesend waren. Aber sie wusste, wie sie genannt wurden, die Menschen, die mit ihr am Esstisch saßen.
Ihr unnötiges Geplapper war ein störender Missklang, und das Essen schmeckte nicht mehr, wie es am Tag zuvor noch geschmeckt hatte. Sie hatte dennoch nur wenig gegessen, hatte verbergen müssen, wie gut ihr jedes Stückchen Kartoffel geschmeckt hatte, weil der mickrige Appetit gut zu dem Krankheitsbild passte, an dem sie festhielt. Krank – schlechter Appetit.
Am Dienstagabend war es nicht mehr dasselbe. Sie spielte schwach und müde, schloss die Augen und versuchte das Gefühl wieder hervorzurufen. Es war noch da, aber schwächer. Sie entschuldigte sich und ging hoch in ihr
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