Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
hätte er jetzt wahrscheinlich geschnurrt. Der Chef hatte mich akzeptiert. Nun war ich bereit, mich auf dieses Abenteuer einzulassen.
|21| WACHGEKÜSST
Schon am folgenden Tag wurde ich Mutter. Fünf Wolfsbabys, drei schwarze und zwei graue, purzelten und rutschten über mich hinweg und krabbelten auf mir herum.
Mit den Worten »Hier! Mir ist ein Helfer ausgefallen. Du musst dich heute Nacht um sie kümmern«, hatte mir Erich eine Kiste mit schlafenden Wolfswelpen in die Hand gedrückt. Verdutzt schaute ich auf die winzigen Fellknäuel. Vorsichtig nahm ich die Kleinen aus der Kiste und setzte mich zwischen die gähnenden und sich streckenden Wölfchen. Sie begannen, mich zu erkunden. Schnupperten und versuchten, an mir hochzukrabbeln. Wenn ich mich zu ihnen hinunterbeugte, flogen ihre Zungen blitzschnell über mein Gesicht, und die scharfen Zähnchen knabberten an meiner Nasenspitze.
Dass ich mit den Wolfswelpen im Schoß hier saß, verdankte ich der jahrelangen Forschungsarbeit von Erich Klinghammer. Der Schüler von Konrad Lorenz, dem Begründer der klassischen Tierverhaltensforschung (Ethologie), hatte schon früh erkannt, dass »zahme« Wölfe die Verhaltensbeobachtungen enorm erleichterten, da sich diese Tiere stressfrei in der Nähe von Menschen bewegen können. Dazu wurden die Welpen im Alter von nur vierzehn Tagen ihren Müttern weggenommen und von menschlichen Ersatzeltern großgezogen.
In Wolf Park lebten die zweibeinigen Wolfsväter und -mütter gemeinsam mit ihren Wolfskindern in einem ausgebauten Trailer. Sie schliefen mit ihnen zusammen auf einer Matratze und versorgten sie rund um die Uhr, wie es auch die tierischen Eltern tun. Dann, im Alter von vier Monaten, wurden die |22| Kleinen vorsichtig und schrittweise wieder mit ihrer wölfischen Familie zusammengeführt. Während ihre wilden Verwandten beim Anblick von Menschen in Panik geraten, waren die Zweibeiner für die von Hand aufgezogenen Wölfe so etwas wie »Familienmitglieder«. Sie hatten keine Scheu mehr vor ihnen und benahmen sich in ihrer Gegenwart ihr ganzes Leben lang völlig ungezwungen.
Ich gab meinen kleinen Ziehkindern alle zwei Stunden die Flasche. Auf eine Uhr konnte ich dabei verzichten. Sie zeigten ihren Unmut deutlich, wenn der Hunger kam. Das verzweifelte Geschrei wich sofort einem zufriedenen Schmatzen, wenn ich den Sauger des Fläschchens in die Wolfsschnute schob. Nach dem Essen massierte ich ihnen die Bäuche, bis die Verdauung einsetzte. Danach hätte ich sie eigentlich wie ihre Wolfsmutter sauberlecken müssen … Ich half mir mit einem feuchten Tuch. Wenn schließlich alle zufrieden und müde auf einem Haufen lagen und im Traum seufzten, grunzten und strampelten, lag ich erschöpft, aber restlos glücklich neben ihnen. Muttergefühle.
Doch ich musste auch an die echte Wolfsmutter denken, die draußen im Gehege nach ihren Kindern suchte. Ließ sich dieser Eingriff in das Leben der Wölfe wirklich dadurch rechtfertigen, dass die Tiere durch Handaufzucht für den Rest ihres Lebens deutlich weniger Stress im Umgang mit Menschen haben würden?
Doch ehe ich diesem Gedanken zu Ende folgen konnte, regte sich schon wieder das erste Fellknäuel und verlangte seine Mahlzeit. Kam die Flasche nicht rechtzeitig, protestierten die kleinen Wölfchen heftig und saugten sich an allem fest, was sie in die Schnauze bekamen. Einmal war es mein Finger, ein anderes Mal hatte ich einen kleinen Wolf zu nahe an meinem Gesicht geknuddelt und plötzlich ein saugendes Etwas an der Wange hängen, das ich nur mit einem leichten »Plop« wieder abziehen konnte.
Anders als bei Hundewelpen fühlte sich das Fell der kleinen Wölfe rauer an, struppiger. Das Hellblau ihrer Augen, mit denen |23| sie mich neugierig anschauten, würde bald einem Ockerton weichen. Spitze Zähnchen knabberten an allem, was ihnen vor die Schnauze kam. Meist war es die Hand, die sie fütterte. Die kleinen, scharfen Krallen traten instinktiv nach mir, wenn ich die Flasche hielt. Mit diesem »Milchtritt« regen sie bei ihrer Mutter den Milchfluss an. Zahlreiche schmerzhafte Kratz- und Bissspuren an meiner Hand und den Armen ließen mich nachempfinden, wie sich eine Wolfsmutter fühlt, wenn sie auf diese Art »malträtiert« wird.
Die Nacht mit den Wölfen verging viel zu schnell. Als ich am nächsten Morgen von einer Studentin, die ihre Examensarbeit über die Aufzucht von Gehegewölfen schrieb, abgelöst wurde, fiel mir der Abschied von den Kleinen schwer. Mit erhobenem
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