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Wolfspfade 6

Wolfspfade 6

Titel: Wolfspfade 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lori Handeland
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und das bis zu einem Grad, an dem fast alles andere bedeutungslos wurde. Aber sie war nun mal meine kleine Schwester, und ich hätte auf sie aufpassen müssen. Ich hatte versagt.
    „Machen Sie beim Gehen das Licht aus.“ Rodolfo wandte sich so abrupt ab, als könnte er es nicht erwarten, wieder allein zu sein.
    Ich weiß nicht genau, warum, aber ich berührte seine Schulter; vielleicht, um mich für mein Eindringen zu entschuldigen oder um ihm – für nichts – zu danken. Er wirbelte herum, seine Hand schoss nach oben und umfing mein Handgelenk, dann zog er mich an sich.
    Ich keuchte überrascht auf, dann wurde mir der Atem aus der Lunge gepresst, als ich mit seinem Oberkörper kollidierte. Ich starrte in sein Gesicht, doch das Einzige, was ich sah, war mein Spiegelbild in den dunklen Gläsern, die seine Augen verdeckten. Ich wirkte blass, verängstigt und irgendwie hübscher, als ich mich in Erinnerung hatte.
    „Es tut mir leid“, ächzte ich. „Ich wollte Sie nicht erschrecken.“
    „Ich mag es nicht, angefasst zu werden“, erwiderte er.
    Was erklärte, warum er so verstimmt gewesen war, als er gedacht hatte, dass ich wegen Sex gekommen sei. Was es hingegen nicht erklärte, war die Ausbuchtung in seiner seidigen schwarzen Hose, die gegen meine Hüfte drängte und deren Hitze und Pulsieren verrieten, dass Rodolfo vielleicht nicht gern berührt wurde, sein Körper jedoch anderer Auffassung war.
    Mit einem verärgerten Schubs stieß er mich von sich, dann stolzierte er zu seinem Schreibtisch und nahm dahinter Platz, sodass seine untere Körperhälfte effektiv vor meinem Blick verborgen wurde. Trotzdem wusste ich, was ich gespürt hatte.
    Der heiße Typ fühlte sich zu mir hingezogen. Ich hatte keine Ahnung, was ich davon halten sollte.

 
    2
    Im Gegensatz zu meiner mädchenhaften Schwester war ich schon immer ein echter Wildfang gewesen. Ich zog Sport Puppen vor und spielte lieber an der frischen Luft, als Bücher zu lesen. Männer fühlten sich von meiner Aggressivität bedroht, von meinem spülwasserfarbenen Haar, der krummen Nase, meinem gewöhnlichen Gesicht und Körper nicht gerade angezogen. Ich war weder dick noch dünn, weder klein noch groß. Ich war okay – durchschnittlich und unscheinbar.
    Ich trug meine Jeans eine Nummer zu weit und dazu übergroße Herrenhemden, ausschließlich in Weiß. Nicht, dass ich keine Freunde, Beziehungen oder keinen Sex gehabt hätte. Nur eben nicht in letzter Zeit. Mit Katies Verschwinden war es mir zur Lebensaufgabe geworden, sie zu finden. Ich hatte nicht in Betracht gezogen, dass es tatsächlich mein ganzes Leben in Anspruch nehmen könnte, aber falls es so sein sollte, dann war es eben so. Nur weil ich mich insgeheim nach der Art von Liebe sehnte, die meine Eltern verband – eine, die trotz der vielen Ehejahre und der unfassbar schmerzvollen Erfahrung, ein Kind zu verlieren, nie wankte –, bedeutete das nicht, dass ich sie auch finden würde. Frauen wie ich zogen in der Regel irgendwann mit einer Katze zusammen. Ich mochte Katzen nicht besonders, aber das nur nebenbei.
    Rodolfo war sicher eine Nummer zu groß für mich. Andererseits – mein Blick blieb an seiner Sonnenbrille hängen – wusste er das nicht.
    Trotzdem, woher rührte sein schnelles Interesse? Er hatte sich gebärdet, als hätte er mehrere Jahre hinter Gittern gesessen. Ich machte mir eine geistige Notiz, seinen Hintergrund zu überprüfen.
    „Jedenfalls … danke“, stammelte ich.
    „Für die unsanfte Behandlung?“
    Er klang, als wäre er von sich selbst angewidert. Ich fühlte mich ein bisschen schlecht. Er hatte mir nicht wirklich Angst eingejagt. In Wahrheit hatte ich die letzten paar Minuten mehr als nur ein bisschen genossen. Ich war nicht der Typ Frau, der das Tier in einem Mann zum Vorschein brachte. Bis heute war mir nicht bewusst gewesen, dass ich es gern wäre.
    „Ich werd’s schon überleben“, entgegnete ich trocken und ging langsam zur Tür.
    „Das Licht“, erinnerte er mich.
    Meine Hand verharrte vor der Wand. Warum bekümmerte es mich, ihn in einer Dunkelheit zurückzulassen, die er ebenso wenig sehen konnte wie mein Gesicht? Ich kannte den Mann doch kaum. Was ging es mich an, wenn er gern im Finstern vor sich hin brütete?
    Ich knipste das Licht aus und zog die Tür hinter mir zu, dann blieb ich, unfähig mich abzuwenden, im Flur stehen. Fast, aber nur fast hätten das Stimmengemurmel der Gäste, das Gläserklirren und das Einspielen der nächsten Band verhindert, dass

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