Wolfspfade 6
Katies Foto. Wenige Minuten später schüttelte ich die Hand von Detective Conner Sullivan.
„Setzen Sie sich.“ Er deutete auf einen Stuhl vor seinem Schreibtisch.
Sullivan hatte das Format eines Footballspielers der NFL – circa zwei Meter fünfzehn groß und hundertzwanzig Kilo schwer –, dazu einen Blondschopf, der aussah, als wäre er bei den Marines gestylt worden, und braune Augen, die weder zu seinem Namen noch zu seinem hellen Teint passen wollten.
Am besten gefiel mir seine Krawatte, auf der ein herzförmiger, Konfetti werfender Harlekin prangte. Der Kontrast zwischen Sullivans Bürstenkopf, seinem tadellosen Anzug, den abgeklärten Polizistenaugen und der lustigen Krawatte faszinierte mich mehr, als gut für mich war.
Ich hatte den ersten Teil des Abends damit zugebracht, nach einem leicht verrückten blinden Jazz-Musiker zu lechzen; überflüssig, nun auch noch ein Interesse an dem imposanten, gut gekleideten Detective zu entwickeln. Ich hatte Wichtigeres zu tun.
„Ich bin auf der Suche nach meiner Schwester“, erklärte ich und legte das Foto auf den Schreibtisch. „Ihr Name ist Katie. Katherine Lockheart.“
Seine riesigen Hände griffen sich den Schnappschuss. Er betrachtete das Foto mindestens dreißig Sekunden lang, bis ich schon zu glauben begann, dass er sie wiedererkannte, doch dann schüttelte er bedächtig den Kopf. „Ich habe sie noch nie gesehen, und auch ihr Name ruft keine Erinnerung wach.“
Ich holte tief Luft, schluckte meine Angst hinunter und wagte den Vorstoß. „Irgendwelche nicht identifizierten weiblichen Toten?“
Sein Blick glitt von Katie zu mir. „Laufend. Aber keine, die aussieht wie sie.“ Er gab mir das Foto zurück. „Sie sollten in den Krankenhäusern nachfragen.“
Ich nickte. Ich kannte das Procedere.
„Sind Sie vom Dezernat für Vermisstenfälle?“, fragte ich.
„Nein, Mordkommission.“ Auf meine verwirrte Miene hin erklärte er: „Es ist eine ganze Reihe von Leuten hier in der Gegend verschwunden. Viele von ihnen wurden tot aufgefunden. Genauso viele sind überhaupt nicht mehr aufgetaucht.“
„Wenn Sie von einer ganzen Reihe sprechen, meinen Sie …“
„Dutzende.“
Meine Augen weiteten sich. „Und Sie waren nicht auf CNN?“
„Nein, noch nicht“, entgegnete er trocken. „Obwohl sich die Dutzende über einen Zeitraum von mehreren Jahren erstrecken, ist die Zahl in letzter Zeit drastisch angestiegen.“
„Wie drastisch?“
„Während der letzten sechs Monate doppelt so viele Vermisste und Tote wie sonst.“
„Sie tippen auf einen Serienmörder?“
Er blinzelte. „Wie kommen Sie denn da drauf?“
„Ist Ihnen der Gedanke nie gekommen?“
„Immer wieder, bevor er sich irgendwann dauerhaft in meinem Kopf eingenistet hat. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, dass jemand meine Meinung teilen könnte.“
„Warum nicht?“
„Zum Beispiel wegen der unterschiedlichen Tötungsmethoden.“
„Unterschiedlich?“
„Ja.“ Sein resigniertes Seufzen sprach Bände.
Serienkiller folgen fast schon pedantisch einem bestimmten Muster. Sie entwickeln eine Methode, ihre Taten zu verüben, und bei der bleiben sie.
„Ein paar der Opfer wurden stranguliert, andere starben an Messerverletzungen, wieder andere wurden erschossen. Wir hatten sogar eine Reihe von Todesfällen durch Tierattacken.“
„Was nicht nach einem Serienkiller klingt.“
Sein Schnauben schien zu besagen, dass er da nicht so überzeugt war.
„Haben Sie das FBI eingeschaltet?“, wollte ich wissen.
Zwei hellrote Flecken breiteten sich unter Sullivans Wangenknochen aus. Seine irische Haut verbrutzelte unter der Sonne Louisianas wahrscheinlich wie Speck.
„Ja. Sie haben uns einen Agenten namens Franklin geschickt. Er hat sich die Fälle angesehen und entschieden, dass es sich unmöglich um einen Serienmörder handeln kann.“
„Weil die Tötungsarten so unterschiedlich waren?“
„Deswegen, und weil die Opfer keinerlei Ähnlichkeiten aufwiesen – es waren Frauen und Männer, junge und alte.“
Serienkiller hielten auch ziemlich pedantisch daran fest, wen sie umbrachten, und pickten sich – je nachdem, welcher Typ sie mehr an ihre Mutter erinnerte – zum Beispiel entweder zierliche, kecke Blondinen oder dralle Rothaarige heraus.
„Mein Vorgesetzter war nicht glücklich darüber, dass ich das FBI in einen Fall involvierte, der ganz offensichtlich nicht Sache der Bundespolizei ist.“
Vorgesetzte waren in dieser Hinsicht eigen. Einmal mehr war ich froh
Weitere Kostenlose Bücher