Wolke 8...
vergessen.
Ich hob meine Tasse an den Mund und sah wieder zu ihr hinüber.
Die Frau trank Orangensaft, stellte das Glas dann vorsichtig beiseite und fuhr mit der Zunge über die Oberlippe, wo sich ein leichter Flaum von Fruchtfleisch abgesetzt hatte.
Es war ziemlich ruhig im Raum, wenn man vom leisen Klappern des Geschirrs absah, das die Kellnerinnen beim Abräumen des Buffets und der Tische verursachten. Zudem gab es nur das kaum hörbare Gedudel aus dem Radio. Und dennoch spürte ich eine seltsame Spannung, die mir diese Ruhe als unerträglich, ja fast schon wieder laut, erscheinen ließ. Nicht einmal die Fliege, die sich auf dem Rand meines Tellers niedergelassen hatte und sich nun daran machte, von meinen Resten zu probieren, konnte mich ablenken.
Natürlich schalt ich mich insgeheim dafür, diese Frau so anzustarren, denn sie würdigte mich keines Blickes. Nicht einmal, als sie in meine Richtung schaute, um die Zeit auf ihrer Armbanduhr mit der Uhr über dem Buffet zu vergleichen.
Auch ich wandte mich nun um, denn meine Armbanduhr lag oben im Zimmer, auf dem Nachttisch.
Was, gleich zehn? Ich sprang auf, stopfte mein Hemd zurück in die Jeans. Vielleicht sollte ich mich in meinem Alter wirklich etwas seriöser kleiden?
Aber hier nahm niemand nahm Anstoß daran, dass ich meistens in Jeans und nicht sehr sorgfältig gebügelten Hemden herumlief. Auch die Turnschuhe, die ich für mein Leben gern trug, störten in diesem Hotel offenbar keinen.
Heute wollte ich gemeinsam mit anderen Gästen einen Ausflug nach Ribnitz-Damgarten unternehmen. Ich hatte schon eine Menge gelesen über diese Doppelstadt am Saaler Bodden. So soll Ribnitz ja früher mecklenburgisch, Damgarten hingegen pommersch gewesen sein. Natürlich war auch der Besuch des Bernsteinmuseums vorgesehen. In dessen altehrwürdigen Mauern soll sich bis zur Reformation ein Kloster befunden haben, das der Klarissinnen.
Mir gefielen diese Ausflüge, vom Hotel aus gestartet, ganz im Vertrauen darauf, dass wir alle dort am Abend wieder willkommen waren. Doch heute schien sich in den Becher der Freude ein Wermutstropfen geschmuggelt zu haben: Ich befürchtete, dass meine schöne Unbekannte nicht mitkommen würde.
„ Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen“, murmelte ich, als ich mich nahe an ihrem Tisch vorbei zwängte, als gäbe es weit und breit keinen anderen Weg. Unbeholfen kam ich mir vor, als ich meinen Kopf neigte, um noch einmal in ihr Gesicht zu schauen, noch unsicherer wurde ich, als sich ihre Oberlippe kräuselte, um gleich darauf in ein unbeschreibliches Lächeln überzugehen.
„ Danke“, flüsterte sie, während ihre hohen Wangenknochen plötzlich Farbe bekamen, „Den wünsche ich Ihnen auch – einen schönen Tag!“
Meine Befürchtung hatte sich also bestätigt: Sie würde wirklich nicht mitkommen. Trotzdem genoss ich den Glücksmoment dieses einen Satzes. Es gab ja auch nicht den geringsten Zweifel: Ich war gemeint, das Flüstern galt mir, das Lächeln auch. Vielleicht sogar das Erröten?
Dennoch oder vielleicht gerade deshalb war ich nicht in der Lage, auch nur etwas halbwegs Intelligentes zu erwidern.
Diesmal dachte ich während des gesamten Tages an die geheimnisvolle Unbekannte. Die Erklärungen des Hoteliers, der gleichzeitig als Fremdenführer fungierte, drangen wie aus weiter Ferne an mein Ohr. Ich drückte auf den Auslöser meiner Kamera, wenn es die anderen taten. Die Münchener, mit denen ich am Vorabend in der Bar gesessen hatte, unterhielten sich inzwischen mit anderen Gästen. Kein Wunder, sie hatten ja von mir, Roman Segger, nur einsilbige, ja sogar einfältige, wie ich einräumen musste, Antworten bekommen.
Wie lebte ich auf, als wir endlich wieder ins Hotel zurückkamen.
Ich war mir meines jungenhaften Lächelns durchaus bewusst, als ich an der Rezeption meinen Schlüssel verlangte. Es war, als käme ich nach langen Reise endlich wieder heim.
Ich würde mich nur schnell frisch machen, meine Sachen wechseln, um dann so früh wie möglich im Restaurant zu sein. Nach dem Abendessen wollte ich noch ins hoteleigene Schwimmbecken. Da kam mir die Idee! Vielleicht sollte ich meine geheimnisvolle Unbekannte doch einfach ansprechen? Vielleicht würde sie ja mit mir kommen? Zum Schwimmen?
Tatsächlich, sie saß schon dort, an ihrem Tisch an der Säule. Mein Hochgefühl ermutigte mich, mit elastischen Schritten auf sie zuzugehen.
„ Darf ich?“ Meine Hand wies auf den freien Stuhl ihr gegenüber, während mein Bauch zu
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