Wolke 8...
kannte ich natürlich, einige sogar namentlich. Barbara, meine verstorbene Frau, hatte mir die Namen beigebracht. Elefantenfuß fiel mir ein oder Philodendron, verschiedene Farne und eine Monstera, die ihre ausladenden Blattfinger und Luftwurzeln in den Raum streckte. Alles kam mir ein wenig angestaubt vor, obwohl die Blätter glänzten. Angestaubt im Sinne von ? Ja, vielleicht.
Lag es womöglich an den Tischdecken, dass ich hier alles so empfand ? Dabei gab es ihnen eigentlich nichts auszusetzen. Sie waren grob gewebt, schwer, altrosa. Sie schienen zusammenzupassen wie sonst nirgendwo auf der Welt: Das Hotel, das Ambiente und die Gäste – alles Menschen im so genannten reiferen Alter.
Aber zu mir? In dem Punkt kamen mir Zweifel, denn ich fühlte mich doch noch jung und dynamisch, obwohl ich die Fünfzig auch schon überschritten hatte.
Ursprünglich wollte ich gar nicht an die See fahren, aber mein Lieblingshotel in den Bergen, in dem ich öfters nach so anstrengenden Wochen (wie den sechs zurückliegenden) abstieg, war ausgebucht.
Und noch etwas war bei dieser Reise anders als sonst. Ich war allein. Die wenigen Damen, von denen ich eine hätte mitnehmen wollen, hatten auf meinen Anruf entweder abschlägig oder gar nicht reagiert. Auch gut, habe ich gedacht, es wird sich bestimmt etwas finden, wenn ich erst einmal dort bin.
Amüsiert registrierte ich nun, dass selbst die Schüsseln und Teller auf dem Frühstücksbuffet in diesem fürchterlichen Altrosa leuchteten. Momentan bot das Buffet ohnehin einen ziemlich zerzausten Anblick.
Ich war wohl doch ein wenig spät dran heute.
Als mein Blick auf den einzigen Gast stieß, der außer mir hier saß, verflog mein Ärger sofort und ich dankte innerlich meinem Schicksal.
War das nicht diese Frau, die mir seit Tagen im Kopf herumgeisterte? Gestern Abend, beim Klavierkonzert zum Beispiel, war sie mir auch wieder aufgefallen. Sie hatte der Musik von Mozart, Schubert und Chopin mit großer Andacht gelauscht. Das war mir zwar reichlich übertrieben vorgekommen, denn so meisterhaft hatte dieser Provinz-Pianist keineswegs gespielt. Doch die ganze Erscheinung dieser Frau strahlte einen Zauber aus, dem ich mich nur schwer entziehen konnte. Immer wieder hatte ich hinschauen müssen, wie sie dort saß, entspannt zurückgelehnt, die Beine anmutig geschlossen an der Seite. Nicht einmal den Anblick ihrer Schuhe hatte der lange Rock, der weich über sie hin floss, freigegeben.
Sie hatte ihre Lider geschlossen, und nur die sich leicht bewegenden Augäpfel hatten darauf hingedeutet, dass sie nicht etwa schlief.
Sie war schön, daran gab es keinen Zweifel. Ihre schlanke Gestalt, das zarte Oval ihres Gesichts, die leicht geöffneten vollen Lippen, der schlanke Hals, und die hochgesteckten, rötlich schimmernden Haare faszinierten mich vom ersten Moment an. Sie hingegen hatte mich nur ein einziges Mal angesehen – und dabei seltsam gelächelt. Als würde sie bis auf den Grund meiner Seele schauen und ihn erkennen.
Warum nur? Ich konnte mich auch nach längerem Nachdenken nicht daran erinnern, ihr jemals irgendwo begegnet zu sein.
Mein Gefühl jedoch, diese geheimnisvolle Unbekannte doch von irgendwoher zu kennen, hatte sich von Minute zu Minute mehr verstärkt. Aber ich konnte mich beim besten Willen nicht mehr darauf besinnen, wann, wo und bei welcher Gelegenheit das gewesen sein könnte.
Und doch hatten mich ihr Blick und ihr wissendes Lächeln den ganzen Abend kaum losgelassen.
Leider musste ich das Konzert vorzeitig verlassen, weil ich dummer Weise vergessen hatte, mein Handy auszuschalten. Und als ich zurückkam, war sie verschwunden.
Nach dem Konzert hatte ich wie an den zurückliegenden Abenden noch lange mit Gisela und Karl, einem Münchener Ehepaar, in der Bar gesessen.
„ Warten Sie auf jemanden, Roman?“ hatte Gisela gefragt, der wohl aufgefallen war, wie oft mein Blick erwartungsvoll in Richtung Tür gewandert war.
Natürlich hatte ich gehofft, dass die geheimnisvolle Schöne jeden Moment durch die Tür schweben würde. Ich verstieg mich sogar zu der grotesken Hoffnung, mit ihrer Hilfe womöglich meine sonderbare Neigung überwinden zu können …
Erst vor ein paar Wochen hatte ich mit meinem Arzt, der auch mein Freund ist, darüber gesprochen, dass ich mich immer noch nach Barbara sehnte - und das sogar, während ich mit anderen Frauen schlief.
„ Könnte es sein, dass du nicht nur Barbara so sehr vermisst, sondern auch ihren Stumpf?“, hatte mein Freund
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